Kicker: Eine Sportlegende wird 100

Muskelverhärtung bei Reus, Schulnote 5 für Breitner, so wollen die Bayern spielen. Seit 100 Jahren stillt das Sportmagazin Kicker den Wissensdurst von Fußballnerds. Das Erfolgsrezept in all den Jahren: Schnörkelloser Fußball.

Credits: Anja Jeitner
Von Lena Jacobi-Chau

Fußball ist und war schon immer ein heikles Thema. Die einen lieben ihn und andere eben nicht. Wenn Fans jedoch auf Gleichgesinnte treffen, dann ufert der Smalltalk schon einmal in eine stundenlange Diskussion aus. Die neusten Nachrichten rund um Vereine, Ligen und Verbände erscheinen dabei teilweise fast schon wichtiger als der aktuelle Tabellenstand. Zusammenfassungen der Spieltage in Sportsendungen reichen nicht aus, um glühende Anhänger*innen mit Informationen zu versorgen. Deswegen nutzen viele Menschen zusätzlich Live-Ticker, hören Podcasts und lesen Magazine. Eines der größten deutschen Sportmagazine ist der Kicker. Unabhängig von der Vielfalt der Nachrichtenübermittlung möchte der Kicker eine Botschaft in den Vordergrund stellen: Er steht zum Fußball und das seit mittlerweile 100 Jahren.

Völkerversöhnung durch den Sport nach dem ersten Weltkrieg

Unter diesem Motto erscheint im Juli 1920 die erste Ausgabe des Kickers. Gegründet wird die Sportzeitschrift von Fußballpionier Walther Bensemann. Er arbeitet zunächst als Herausgeber, Autor und Geschäftsführer des Magazins. Als Kosmopolit jüdischer Abstammung ist er nach der Machtergreifung Hitlers ein Feindbild der Nationalsozialisten. 1933 gibt er sein Lebenswerk auf und flüchtet ins Exil. Ein Jahr später stirbt Bensemann und wird unter der neuen Leitung aus dem Magazin getilgt. Nach dem zweiten Weltkrieg drängen die Alliierten darauf, den Kicker aus Nazi-Verbündungsgründen zu schließen. Daraufhin gründen ehemalige Kicker-Mitarbeiter*innen das Magazin „Sport“. Als der Kicker wieder erlaubt wird, gibt es eine Neugründung des Blattes. 1968 werden beide Zeitschriften vom Verlag Nürnberger Presse zusammengeführt.

Fehltritte und Modernisierung

So wie andere Freizeitbereiche dient auch der Sport teilweise als Spiegel der Gesellschaft. Frauen in kurzen Fußballshorts. Das war ein Anblick, an den sich Männer Jahrzehnte lang nicht gewöhnen wollten. Und auch die Kicker-Redaktion geht – wohlwollend ausgedrückt – nicht als Förderer des Frauenfußballs in die Geschichte ein.

Das ist ein Grund dafür, dass die Gleichheit der Geschlechter (im Sport) noch immer ein umstrittenes Thema ist. Während sich gerade Fachmagazine heute sehr gewählt ausdrücken und sich aktiv dafür einsetzen, den Frauenfußball zu bewerben, war das auch beim Kicker für lange Zeit nicht die Norm. Von 1970 bis 1986 schrieb Kicker-Urgestein Martin Meier die Rubrik: „Ja und Nein“. 16 Jahre lang schoss er mit seiner Meinung gegen Frauen im Fußball und auch weiblichen Reporterinnen wurde die Arbeit bei dem Fachblatt anfangs erschwert. Die jährlich, nach Ende der Saison vom Kicker, vergebene Trophäe zur Ehrung des Torschützenkönigs wurde im Frauenfußball erst 2004 eingeführt. Auch wenn der Männerfußball aufgrund seiner Popularität noch immer klar im Vordergrund steht, gibt es mittlerweile eine eigene Abteilung für den Frauenfußball.

Nah, näher, Spielfeldrand: Eine Philosophie

Durch seine Geschichte und klaren Fokus auf den Fußballsport ist der Kicker mit mehr als 2,2 Milliarden monatlichen Seitenabrufen und über zehn Millionen Nutzer*innen (nach eigenen Angaben) nicht nur die älteste, sondern auch eine der auflagenstärksten Sportzeitschriften Deutschlands. Geliebt wird von den Leser*innen besonders die Nähe zum Spielfeldrand und zu den Vereinen. Durch die Fachkenntnisse der Journalist*innen und die eingefleischte Anhängerschaft betitelt sich der Kicker als Magazin für Menschen, die Fußball nicht nur als Event verfolgen. Die Zeitschrift ist für viele Ritual, Kult und Genusslektüre in einem. Dabei können sie sich sogar auf zwei wöchentliche Ausgaben freuen. Damit der Konkurrenz in Sachen Digitalisierung in nichts nachgestanden wird, gibt es die wöchentlichen Ausgaben seit 2012 bereits am Vorabend in digitaler Form. Besonders beliebt bei den Leser*innen sind nicht nur die Spielberichte, sondern auch die Schulnoten, die das Fachblatt knallhart, nach jedem Spieltag, an die Profis verteilt.

Vor der Zeit der sozialen Netzwerke hatten Berichterstattende häufig einen sehr engen und persönlichen Draht zu den Vereinen, die sie begleiteten. Trotz eines gelegentlich zusammen eingenommenen Kaffees bemühte man sich stets darum, eine kritische Haltung beizubehalten. Das traf natürlich nicht immer nur auf Wohlwollen seitens der Vereine. Zusammen mit der Kontrollfähigkeit über die eigene Sache, könnte das auch ein Grund dafür sein, weshalb heutzutage von Vereinen und Verbänden lieber über die eigenen Kanäle kommuniziert wird. Vereine als eigene Medienunternehmen verändern auch die Arbeitsweisen der Sportmedien. Wo früher viele Floskeln rausgehauen und in persönlichen Gesprächen schnell Sensationen gefunden wurden, ist jetzt Vorsicht geboten. Umso wichtiger wird die gewisse Zuneigung (oder auch Liebe) der einzelnen Mitarbeiter*innen für den Fußball. Eine Liebe, die ihren Gipfel am Spielfeldrand erreicht.

Die Kanone als Krone

Mit der Vergabe der Torschützen-Kanone ist der Kicker die einzige Sportzeitschrift, die sich auf das Grün am Stadiongrund begeben darf. Die Bedeutung der Trophäe spielt nicht nur bei den Fans eine große Rolle, sondern auch bei den Spieler*innen selbst. Auch wenn die Frage um die Meisterschaft am letzten Spieltag in den letzten Jahren häufig schon geklärt war, sorgte eine Frage oftmals noch für Spannung auf dem Spielfeld. Wer schießt die meisten Tore der Saison? Ein prestigeträchtiger Preis für die Einzelspieler*innen. Im Moment der Vergabe rückt der Kicker selbst als Akteur in den Fokus des Fußballfans (wenn er nicht schon immer dort gewesen ist).

Die Pandemie erschwert nicht nur die Arbeit jeglicher Sportvereine, sondern natürlich auch die Arbeitsbedingungen der Sportjournalist*innen. Umso unglücklicher ist es, dass der runde Geburtstag des Kickers gerade in dieses Jahr fällt.


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