Zwischen revolutionären Styles und konservativen Rollenvorstellungen

“men should be men”. In Zeiten, in der die Debatte um Feminismus und LGBTQ+ immer präsenter ist, ist das trotzdem noch immer die Meinung vieler Menschen. Doch was ist dran an der “Maskulinität” eines Mannes und braucht man(n) die im Leben tatsächlich? Definiert feminine oder maskuline Kleidung unbedingt die Männlichkeit oder Weiblichkeit einer Person? Sollte nicht am Ende das Wichtigste sein, dass man das trägt, worin man sich wohlfühlt? Und wer definiert überhaupt, was männliche und was weibliche Kleidung ist?

Illustration: Alicia Ernst
Von Ina Welter und Rica Kuttler

“Es gibt keine Gesellschaft, die ohne starke Männer überleben kann. Der Osten weiß das. Im Westen ist die fortschreitende Feminisierung unserer Männer zur gleichen Zeit, in der der Marxismus unseren Kindern gelehrt wird, kein Zufall. Es ist ein offenkundiger Angriff. Bringt männliche Männer zurück”. Diese Worte fand die amerikanische Autorin Candace Owens auf Twitter als Reaktion auf das Cover der Dezember Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift “Vogue”. Darauf abgebildet: Der britische Sänger und Schauspieler Harry Styles – in einem Kleid. 

Harry Styles gegen die Gender Norms

Direkt nach der Veröffentlichung entbrannte im Netz eine kontroverse Diskussion über Gender Norms in der Mode. Auf der einen Seite Menschen, die sich für Candace Owens und ihre Sichtweise stark mach(t)en. Auf der anderen Seite fand bzw. findet sich aber auch viel Zuspruch für Harry Styles Styling auf dem Vogue Cover. So entstand auf der Plattform TikTok ein Trend, bei dem männliche Jugendliche Videos machten, in denen sie in Kleidern oder Röcken in die Schule gehen, um sich mit Styles zu solidarisieren. Die amerikanische Sängerin Charlotte Sands veröffentlichte ein Lied mit dem Titel “Dress”; als Inspiration diente Harry Styles auf dem Cover der Vogue. Die Botschaft des Songs: Männer in Kleidern sind sehr wohl maskulin, da sie das Selbstbewusstsein haben, sich entgegen bestimmter Stereotypen zu kleiden. Harry Styles ist das Paradebeispiel für einen Mann, der keine Angst davor hat, auch mal seine feminine Seite zu zeigen. Bereits in der Vergangenheit hatte sich das ehemalige Mitglied der Boyband One Direction mit seinen Outfits von klassischen Vorstellungen genderspezifischer Kleidung losgelöst. Eine Perlenkette und lackierte Fingernägel gehören mittlerweile definitiv zu seinen Markenzeichen. Immer wieder trägt der Sänger bei Fotoshootings oder auf der Bühne Kleider, Röcke oder ist geschminkt. Bei den Brit Awards im Februar dieses Jahres trug Styles beispielsweise ein Ensemble aus Marc Jacobs Kollektion für Frauen. Sein Motto: “Kleidung ist da, um damit Spaß zu haben, zu experimentieren und damit zu spielen. Wenn man sich von dem [Rollenverständnis] ‘es gäbe Klamotten für Männer und es gibt Klamotten für Frauen’ trennt, sobald man jegliche Grenzen entfernt, erweitert man automatisch den Raum, in dem man spielen kann.”

Revolutionäre Stilikonen der Vergangenheit

Harry Styles ist keinesfalls der erste, der durch seinen Kleidungsstil, die traditionellen Klischees von „das ist Kleidung für Männer“ und „das ist Kleidung für Frauen“ anfechtet. Bereits frühere Superstars wie Freddie Mercury oder David Bowie ließen die von der Gesellschaft kreierten Grenzen zwischen weiblicher und maskuliner Kleidung verschwimmen. Beide Künstler galten in den 1970ern als Vertreter des sogenannten Glamrock-Stils, welcher keine Geschlechtergrenzen kennt. Männer trugen ebenfalls hohe Schuhe, Kleider und Röcke. Das spiegelte sich in Mercury´s und Bowie´s Bühnenoutfits wieder. Bowie trat oft in Kleidern und hohen Schuhen auf und bemalte sein Gesicht in den buntesten Farben. Mercury experimentierte mit engen, kurzen Hosen, bunten Blusen und High Heels. Besonders für die damalige Zeit wurden die Outfits beider Künstler oft als extravagant und in gewisser Weise gewagt angesehen. Homophobie spielte in der Gesellschaft der 1970er noch eine große Rolle. Sich also klar von diesen weit verbreiteten Wertvorstellungen abzugrenzen, war durchaus riskant, aber gleichzeitig eine Art der Rebellion. Durch ihr Verhalten wurden Bowie und Mercury zu Stilikonen ihrer Zeit und trugen viel zur Entwicklung der Modewelt bei. 

Doch nicht nur Männer in Kleidern waren oder sind ein Schock für die konservative Modewelt, auch Frauen in männlicher Kleidung waren zunächst geradezu skandalös. Ein bekanntes Beispiel hierfür war bereits Jahre zuvor die deutsch-amerikanische Sängerin und Schauspielerin Marlene Dietrich. Sie etablierte in den 1930ern Hosenanzüge für Frauen. In ihrem ersten in den USA produzierten Film “Morocco” wagte Marlene Dietrich den revolutionären Schritt und trat in Kleidung auf, die als maskulin galt. Eine weite Anzughose mit geradem Bein und Bügelfalte, Zylinder und Fliege – das war der Look, der von vielen zunächst sehr kritisch wahrgenommen wurde. Schrittweise etablierte sich dieser in der Künstlerszene. Als angemessene Alltagskleidung für Frauen wurden Marlene Dietrichs Hosenanzüge aber lange nicht anerkannt. Heute haben sich Hosenanzüge längst auch für Frauen standardisiert. Die sogenannte “Marlenehose” zeigt symbolisch, welch großen Einfluss die Schauspielerin auf diese Entwicklung hatte.  

Ein Blick in unsere heutige Gesellschaft

Wie viele Menschen auch heutzutage noch in Geschlechterklischees denken, konnte man im Oktober 2019 sehen, als die Moderatorin Barbara Schöneberger sich dazu äußerte, dass Männer sich nicht schminken sollen. „Irgendwo sei auch mal ein Punkt. Männer sind Männer, Männer sollen irgendwie auch Männer bleiben”. Für diese Aussage bekam sie allerdings auch viel Kritik. Versucht man eine Erklärung dafür zu finden, warum Menschen noch immer in klassischen Rollenvorstellungen denken, muss man eigentlich nur mal einen Schritt in große Klamottenläden machen. Abteilungen für Männer und Frauen sind in der Regel klar voneinander abgetrennt und signalisieren: Diese Klamotten sind nur für Frauen, während andere ausschließlich für Männer sind. Die Geschlechtertrennung sticht besonders in den Kinderabteilungen ins Auge. Auf der einen Seite finden sich blaue und grüne Hosen und T-Shirts mit Baggern oder Fußbällen, auf der anderen Seite leuchten einem rosa Röcke und Kleider mit Glitzer und T-Shirts mit Feen- und Prinzessinnen-Logos entgegen. Natürlich ist es vollkommen legitim, sich dementsprechend anziehen zu wollen, jedoch sollte sich niemand gezwungen fühlen, bestimmten Idealen entsprechen zu müssen. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Brands etabliert, die ihren Fokus auf Unisex-Klamotten legen und auf genderspezifische Designs verzichten. Die Schuhmarke DocMartens beispielsweise stellt Schuhe für Männer und Frauen gleichermaßen her. Ihre Modelle sehen für alle Geschlechter identisch aus.

Was wir von Harry Styles lernen können

Mit Blick auf die Vergangenheit zeigt sich, dass sich immer wieder einzelne große Persönlichkeiten für Geschlechtergleichheit in der Fashionbranche stark gemacht haben. Dadurch wurden vereinzelt konservative Normen und veraltete Konventionen, wer was zu tragen hat, aufgebrochen. Dennoch gibt es in der Zukunft noch viel Potential und viele Möglichkeiten, den Stil der heutigen Zeit so zu gestalten, dass man tragen kann, worin man sich am wohlsten fühlt. Vielleicht sollten wir uns als Gesellschaft für 2021 ein Beispiel an Harry Styles nehmen: ob Kleider, Röcke, Hosen oder Make-up, Mode ist für alle gemacht, egal in welcher Form!


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