Publizissimus? „Ihr gehört verboten!“

Martin Sonneborn ist Deutschlands bekannter Satiriker mit Parteimandat. Als gewählter Abgeordneter der Satirepartei DIE PARTEI sitzt der studierte Publizist im EU-Parlament. Im Publizissimus spricht der Mitherausgeber des Satiremagazins Titanic über humorvolle Berufspolitiker, „die verfickte AfD“ und „seriösen Populismus“. Geht es nach Sonneborn, dann ist der Publizissimus bald Geschichte.

Foto: Martin Sonneborn
Von Henrik Rampe

Sie studierten in Münster, Berlin und Wien. Die Stadt Mainz taucht in Ihrer Biographie nicht auf. Was assoziieren Sie mit Mainz?

Absolut nichts. Ich bin einmal dort gewesen, um mit ZDF Neo zu verhandeln. Wir mussten das Hotel selbst bezahlen und die Anfahrt auch. Das verbinde ich mit Mainz. 

Als Sie vor mehr drei Jahren ins Europaparlament gewählt wurden, sagten Sie, Sie könnten nicht garantieren, dass Sie „diesen gut dotierten Irrsinn“ lange durchhalten. Nun sind Sie immer noch Parlamentarier, warum?

Ich habe auch gesagt, dass ich solange bleibe, wie es interessant ist. Es gab zwar einen Tiefpunkt, da alle Leute, die ich begleitet habe, nicht mehr im EU-Parlament sitzen – so wie Chulz (Martin Schulz, d. Red.) und Frau von Strolch (Beatrix von Storch, d. Red.). Doch es geht wieder aufwärts. Ich habe kürzlich eine Abstimmung entschieden, in der es um Datenschutz ging. Ich habe mich in einen Ausschuss gemogelt, in dem ich gar nicht sitze. NPD-Mann Udo Voigt und ein griechischer, rechtsradikaler Abgeordnete haben an der Sitzung nicht teilgenommen. Das war mir im Vorfeld bekannt. Also habe ich mich an deren Stelle reingemogelt und über ein paar Kniffe ihr Stimmrecht organisiert. Bei der finalen Abstimmung konnte ich die entscheidende Stimme liefern. Das führt jetzt zu einer europaweiten Datenschutz-Grundverordnung.

Der Begriff Datenschutz-Grundverordnung kommt etwas sperrig daher. Was steckt konkret dahinter?  

Ja, das ist ein Thema, das die Öffentlichkeit nicht so richtig erreicht. Aber wir haben hier aus Versehen effektiv Politik gemacht und konnten auf einem entscheidenden Gebiet der EU-Politik massiv Einfluss nehmen. Die Datenschutz-Grundverordnung veranlasst, dass Messanger-Dienste wie Whatsapp nicht überwacht werden können und Google-Nutzer auf die Dienste des Internetriesen zurückgreifen können, ohne zustimmen zu müssen, dass sämtliche Daten abgesaugt werden. All das sind Verbesserungen, die es in Zukunft für alle Europäer geben wird.  

Ein weiteres Themenfeld, das Sie beschäftigt ist die Außenpolitik. Sie sitzen im EU-Parlament im Ausschuss für die Beziehungen zur koreanischen Halbinsel. Wie erleben Sie derzeit den Konflikt zwischen den USA und Nordkorea?

Die Sitzungen dort sind kompliziert, weil man weiß, dass mit Trump ein Irrer die Hand am roten Knopf der Atomwaffen hat. Die nordkoreanische Seite ist relativ leicht auszurechnen, denen geht es um Machterhalt. Das ist keine begrüßenswerte, aber eine nachvollziehbare und logische Position. Was hingegen den Irren aus den Vereinigten Staaten antreibt, das weiß ich nicht und das bereitet mir große Sorge. 

In Brüssel haben Sie es mit einigen Polit-Dinosauriern zu tun, die teilweise seit Jahrzehnten im EU-Parlament sitzen. Was konnten Sie von diesen Kollegen noch lernen?

Ich glaube ich bin hier um zu lernen, wie man einen Kontinent gegen die Wand fährt. Dabei habe ich hier gute Lehrmeister.

Haben Ihre Kollegen im Parlament Humor?

Einige sicher schon. Es gibt, wie bei jeder Zusammenhortung von Menschen, ein paar die Humor haben und die wird es auch im Parlament geben.

In einem vielzitierten Text beantwortete Kurt Tucholsky einst die selbstgestellte Frage, was Satire dürfe. Die knappe Antwort lautete: „alles!“ Stimmen Sie dem zu?

Ja. 

Auch Ihre Antwort fällt knapp aus.

Man könnte einschränken: Satire hat alles gedurft. Ich glaube heute darf sie nicht mehr alles. Heute wird man schnell verklagt von Wirtschaftsunternehmen, von Privatpersonen oder auch mal vom Papst, wenn man sich weit aus dem Fenster lehnt.

Sie sprechen das Thema gerade an. Wenn eine böse oder grenzwertige Satire veröffentlicht wird, egal von welchem Urheber, hat man den Eindruck, im Netz erhebt sich eine Armee der moralischen Aufrichtigkeit, die zu wissen glaubt, was Satire oder Humor darf und was nicht. Was halten Sie von solchen Diskussionen?

Die Empörungsbereitschaft im Internet ist ziemlich groß und wird von Medienseite teilweise angeheizt bzw. weiterverbreitet. Ich weiß es von der BILD-Zeitung. Wenn wir als Titanic Späße gemacht haben, die der BILD-Zeitung nicht gefallen haben, dann haben die ihre Leser praktisch aufgefordert, Stellung zu beziehen. Das ist natürlich aus unserer Sicht eine dankbare Situation. Wir nennen das eine win-win-Situation. Denn aus der Empörung speist sich natürlich auch wieder viel Komik.  

Muss Satire dabei witzig sein? 

Ich glaube schon. Satire ist eine ästhetisch verbrämte Kritik an gesellschaftlichen Zuständen. Durch die Komik wird sie zur Kunst und leichter konsumierbar. Denn eine Kritik, die mit einem guten Witz verbunden ist, die verbreitet sich natürlich auch weiter. Insofern ist der Witz schon eine wichtige Grundbedingung für Satire.

Nonsens im EU-Parlament: Martin Sonneborn mit seiner „State of the Union“.

Kann eine gute Satire auch unpolitische Themen behandeln?

Auf jeden Fall. Nonsens ist ja auch eine Spielform der Satire. Und das ist ja viel freier in seinen Themen und Formen.

Gibt es Satireformate im TV, die Sie sich ansehen?

Eigentlich nicht. Für mich hat Satire zur Grundbedingung, dass eine gewisse Aggression transportiert wird. Alles was im Fernsehbereich stattfindet ist durch die Produktionsbedingungen aber so strukturiert, dass eine Form der aggressiven Satire so gut wie nie stattfindet. Insofern gibt es im TV wenig, was mich da interessiert.

Ein Blick ins Ausland. Figuren wie Donald Trump, Kim Jong Un und Erdogan bieten viel Angriffsfläche für die Satire und das Kabarett. Sind es aktuell goldene Zeiten für Sie und ihre Berufskollegen?

Nein, das glaube ich nicht. Im Gegenteil. Ich glaube eher, dass es aktuell schlechte Zeiten für Satire sind – eben weil es diesen ganzen Quatsch gibt, weil es praktisch den Zwang gibt zur Ironie und zur Unterhaltung gibt. Ich erwarte von Politikern nicht, dass sie komisch sind oder mich unterhalten, sondern, dass sie vernünftige Politik machen. Dass uns Komik oder versuchte Komik, Comedy und Klamauk überall umgibt, find ich eher belastend.

„Elitär, bourgeois und amoralisch“, so nannte der Journalist Martin Kaul von der taz Ihre Partei, bzw. Ihre Parteigenossen. Was davon ist wahr und warum?

Ich glaube, elitär ist schon korrekt. Bourgeois ist auch richtig. Und amoralisch auch. Eigentlich hat er es schon ganz gut getroffen für eine Analyse in der taz. 

Sowohl im Internet als auch an der Wahlurne – Der Populismus ist zurzeit auf dem Vormarsch. Sie beschreiben auch Ihre PARTEI als schmierig und populistisch. Können Sie erklären, woher der Erfolg der Populisten kommt?

Wir von der PARTEI sind ja die Erfinder des seriösen Populismus und werden jetzt von dahergelaufenen, unseriösen Populisten wie der verfickten AfD praktisch überrundet. Das ist ärgerlich und natürlich demütigend. Letztlich bestärkt uns das aber auch in der Auseinandersetzung mit diesen Parteien. Populismus, konkreter der Erfolg populistischer Parteien, ist natürlich ein Indiz dafür, dass eine wirtschaftliche Entwicklung, wie wir sie zurzeit in Deutschland und in Europa haben, in die falsche Richtung geht. Globalisierung und die Vergrößerung von Armut werden über kurz oder lang irgendwann zu kritischen Massen führen.

Ronald Pofalla ist bei der Deutschen Bahn, Gerhard Schröder im Aufsichtsrat von Rosneft. Wenn sie nicht mehr im Parlament sitzen, für wen würden sie gerne mal Lobbyarbeit machen wollen?

Ich betreibe prinzipiell keine Lobbyarbeit. Ich betreibe auch prinzipiell keine Arbeit mehr, wenn ich aus dem Europaparlament ausscheide. Dann will ich nur noch im Gasthaus sitzen, Zeitung lesen und kleine Sachen schreiben.

Satzergänzung:


1. Wenn ich eine Woche lang mit Angela Merkel den Job tauschen könnte, würde ich… sie inhaftieren lassen und einem Schauprozess unterziehen. Im Olympia-Stadion. In einem Käfig.

2. In 20 Jahren wird die Titanic… Pflichtmagazin für alle Deutschen sein. 

3. Warum fragt mich eigentlich nicht mal jemand… ob ich überhaupt Lust habe, solche Satzergänzungs-Spielchen mitzumachen.

4. Alexander Gauland würde ich gerne einmal… zu Angela Merkel in den Käfig sperren.

5. Hiermit verkünde ich ganz exklusiv im Publizissimus… Ihr seid ein Druckwerk, das verboten gehört!


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