Spieglein, Spieglein auf dem Feed

„Wieso wird darüber nicht berichtet?“ „Aufgepasst! Bitte teilen! #important“ Posts, die Aufmerksamkeit auf Themen lenken, Fehlverhalten aufklären und Informationen bereitstellen, sind mittlerweile niemandem mehr fremd. Doch welche neuen Möglichkeiten können soziale Netzwerke dafür bieten? Und wer wird eigentlich am meisten beeinflusst, wenn man online postet und teilt?

Von Gastautor*in
Credits: Unsplash/Vince Fleming

Um sicher zu gehen, dass man sich lang genug die Hände wäscht, kann man zwei Mal „Happy Birthday“ singen. Der Handschlag ist nicht mehr die typische Geste zur Begrüßung. Viele können mittlerweile eine Entfernung von anderthalb Metern gut abschätzen. Die Freude über eine Impfung ist viel größer als noch vor einem Jahr. Kurzum: Die Corona-Pandemie hat viele dazu gezwungen, sich genauer mit Gesundheitsthemen auseinanderzusetzen, ihre Einstellungen dazu anzupassen und ihr Verhalten zu ändern.

Das hängt einmal mit neuen politischen Richtlinien und beispielsweise Hygienehinweisen in Supermärkten und an anderen öffentlichen Orten zusammen, aber auch mit den Inhalten, die uns in den sozialen Medien begegnen. Im Frühjahr 2020 waren die Instagram-Feeds unter dem Hashtag #wirbleibenzuhause gefüllt mit verschiedenen Songs zum Händewaschen, Puzzles und Bananenbrot. Aktuell posten viele ihre Pflaster nach der Corona-Impfung. Aber kann man das einfach als Momentaufnahme und Erinnerungsstück der jetzigen Zeit sehen? Oder haben diese Inhalte eine stärkere Wirkung auf Social Media-Nutzer*innen?

Die Medienwirkungsforschung liefert Antworten auf diese Frage. Ein Fokus dieser Disziplin liegt auf den Effekten, die Nutzer*innen durch Medienkonsum erfahren. Vor allem durch Social Media beschränkt sich die Mediennutzung aber nicht mehr auf passives Rezipieren, sondern alle können aktiv kommunizieren. Dadurch werden andere Medieneffekte relevant: Die Selbsteffekte.

Unbewusste Selbstmanipulation mit Selbsteffekten

Selbsteffekte sind die Auswirkungen von Medieninhalten auf die Kognitionen, Emotionen, Einstellungen und das Verhalten der Ersteller*innen des Inhalts selbst. Diese Effekte wurden bisher besonders offline in Experimenten untersucht, aber sie lassen sich auch auf Online-Mediennutzung übertragen und spielen in dem Zusammenhang wahrscheinlich eine größere Rolle. Verschiedene Theorien versuchen Selbsteffekte auf verschiedene Arten und Weisen zu erklären: Selbstpersuasion, Änderung des Selbstkonzepts, Expressives Schreiben.

Selbstpersuasion bedeutet, dass Menschen sich selbst dazu überreden, ihre Einstellungen und ihr Verhalten zu ändern. Das kann auch passieren, wenn eine Person eine Position vertreten soll, der sie eigentlich widerspricht. Man passt dann die eigene Einstellung an, um kognitive Dissonanz zu vermeiden – die Meinung wird an das Verhalten angepasst.

Deutlich wird das zum Beispiel an folgendem Experiment: Eine Person wird damit beauftragt, einen Freund davon zu überzeugen, mit dem Rauchen aufzuhören. Im Nachhinein berichtet diese Person, dass sie eine negativere Einstellung zum Rauchen hat als der zu überzeugende Freund.

Die Änderung des Selbstkonzepts beschreibt, dass man die eigene Vorstellung von sich selbst anpasst. Präsentiert man sich zum Beispiel in einem Blog auf eine bestimmte Art und Weise und hebt dabei einzelne Charaktereigenschaften hervor, dann übernimmt man dieses Konzept von sich selbst in den Alltag. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn man den Eindruck hat, sich einem Publikum zu präsentieren – selbst, wenn man nicht offensichtlich zu vielen Personen spricht. Es reicht allein die Vorstellung, dass man gerade beobachtet werden könnte. Online hingegen spricht man besonders oft zu einem imaginären Publikum. Will heißen: Man kann nie ganz genau wissen, wer die eigenen Posts liest.

Die Theorie zum Expressiven Schreiben wurde in einem Experiment entwickelt, in dem die Proband*innen sehr ausführlich und emotional über Lebensereignisse schreiben sollten. Dabei stellte man fest, dass das positive Effekte auf die mentale Gesundheit hat: Die Teilnehmenden nahmen mehr Unterstützung war, hatten ein höheres subjektives Wohlbefinden und ein größeres Selbstvertrauen. Sie waren zur Selbstreflexion gezwungen und hatten so die Möglichkeit, ihre Emotionen besser einzuordnen.

Diese Theorien lassen sich auf soziale Medien übertragen. Hier haben die Nutzer*innen die Möglichkeit, auf expressive Art und Weise über sich selbst zu schreiben, ein bestimmtes Bild ihrer Selbst zu präsentieren und dabei von einem Publikum beobachtet zu werden.

Kann ich mich mit meiner Instagram-Story manipulieren?

In der Theorie klingt das alles interessant, aber: Was bedeutet das für uns und unser Verhalten? Besonders im Bereich Gesundheit gab es in den vergangenen Jahren eine Reihe von Studien, die Selbsteffekte untersucht haben. Diese bieten möglicherweise Hinweise auf unsere eigenen Lebensrealitäten und unseren Alltag:

Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2019 untersuchte, welche Wirkungen das Teilen eines Hautkrebsvorsorgevideos in sozialen Medien auf das eigene Gesundheitsvorsorgeverhalten von Menschen hat.

Das Video ‚Dear 16-year-old Me‘ präsentiert Angehörige von Betroffenen mit Hautkrebs und soll auf Empfehlungen zur Vorsorge aufmerksam machen.

Es zeigte sich, dass Nutzer*innen, die das Video auf ihren Plattformen mit Freund*innen geteilt haben, auch eher die empfohlenen Maßnahmen akzeptiert und übernommen haben.

Wenn wir also in unsere Instagram-Story ein Video teilen, welches auf gesundheitlich förderliches Verhalten hinweist und wir das prinzipiell gut finden, dann wollen wir diesen Empfehlungen folgen. Eigentlich gut für das eigene Wohlbefinden, oder?

Das ist leider wie so oft nur die halbe Wahrheit. Diese Effekte können auch in die entgegengesetzte Richtung funktionieren, beispielsweise mit Inhalten, die sich eher negativ auf unser eigenes Verhalten auswirken. Eine belgische Studie untersuchte die Wirkung von Alkoholkonsum fördernden Inhalten unter Jugendlichen in sozialen Medien. Dabei wurden auch Zusammenhänge außerhalb von spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen erkannt.

Von der Lehre in die Wirklichkeit

Die Befunde zeigen uns: Selbsteffekte sind ein neues und durchaus offenes Forschungsfeld der Kommunikationswissenschaft. Die daraus hervorgehenden Effekte können uns helfen, Inhalte selbst zu verinnerlichen, indem wir sie teilen. Damit können wir mit Inhalten in sozialen Medien nicht nur auf Andere sondern auf uns selbst Einfluss nehmen. Es fehlen noch Nachfolgestudien, mit denen die genannten Ergebnisse eindeutiger interpretiert werden können. Gerade in anderen Bereichen als Gesundheit; zum Beispiel im Zusammenhang mit politischen Botschaften, Mobilisierung und am Ende Einflussnahme auf unsere Wahlentscheidung bei der anstehenden Bundestagswahl.

Möglicherweise wären Selbsteffekte für uns auch einfach ein Trick bei der nächsten Hausarbeit? Einen Inhalt teilen, welcher die fünf besten Motivationstipps verdeutlicht und damit das eigene Bib-Besuchsverhalten austricksen.

Autor*innen: Thuy Trang Dao, Leni-Marie Görzen, Luise Sophie Reinke & Palina Tkachonak


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