Telegram – sicherer als WhatsApp oder doch nur eine Marketing-Lüge?

„Unzensiert informieren“ – mit solchen Slogans bewerben Prominente die App Telegram. Doch was genau steckt hinter dem kostenlosen Messenger-Dienst und ist es wahr, dass vor allem Kriminelle, Extremist*innen und Coronaleugner*innen auf Telegram aktiv sind?

Foto: Chiara Raber
Von Chiara Raber

Heutzutage gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, wie man sich mit Freund*innen oder der Familie austauschen kann. Der beliebteste Messenger-Dienst in Deutschland ist WhatsApp. 94% aller Deutschen geben an, dass sie die App regelmäßig nutzen. 2020 ist jedoch ein weiterer Messenger-Dienst zunehmend in den Fokus gerückt: Telegram. Der Messenger soll angeblich einen besseren Datenschutz bieten und hat weltweit über 400 Millionen Nutzer*innen, davon sind 7,8 Millionen täglich aktive Nutzer*innen aus Deutschland.

Der sicherste Messenger-Dienst?

Telegram ist ein kostenloser Messenger-Dienst für Smartphones, Tablets, Smartwatches und Computer. Das Unternehmen sagt über sich selbst, der „sicherste Messenger“ auf dem Markt zu sein. Doch entspricht das der Wahrheit oder ist es doch nur eine Marketing-Strategie?

Um Telegram nutzen zu können, muss man sich, wie bei WhatsApp mit einer Telefonnummer anmelden, die jedoch nicht die Rufnummer des eigentlichen Gerätes sein muss. Nach der Anmeldung kann man einen Benutzernamen wählen, der allen anderen Nutzer*innen angezeigt wird. Das heißt, man benötigt nicht die Nummer anderer Mitglieder*innen, sondern lediglich deren Benutzernamen, um sich gegenseitig zu kontaktieren. Im Gegensatz zu WhatsApp ist Telegram ein cloudbasierter Messenger. Das heißt, die Chats werden nicht auf deinem Handy gespeichert, sondern in den weltweit verteilten Datenzentren und Servern von Telegram. Dadurch sind keine Backups nötig und man hat die Möglichkeit, sich jederzeit auf einem anderen Gerät einzuloggen. Ohne Probleme kann man so auf alle Nachrichten zugreifen. 

Telegram: Sicherheitskonzept mit Haken

Bei WhatsApp werden die Nachrichten auf den Geräten selbst gespeichert, weshalb man bei der Nutzung eines neuen Gerätes immer erst einmal sein Handy verbinden muss, um auf seine Nachrichten zugreifen zu können. Im Fokus von Telegrams PR-Strategie steht der Punkt Sicherheit. So werben sie mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aller Nachrichten. Diese gibt es mittlerweile jedoch auch bei WhatsApp und anderen Messenger-Diensten. Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die Telegram verspricht, hat jedoch einen Haken. Denn die sichere Verschlüsselung muss von den Nutzer*innen aktiv eingeschaltet werden. Nur in sogenannten „Geheimen Chats“ ist diese Methode möglich, nicht aber in den großen Gruppen und Kanälen. Das wissen jedoch die wenigsten Mitglieder*innen. In den geheimen Privatchats werden die Nachrichten nicht auf den Servern gespeichert und es gibt eine Selbstzerstörungsfunktion. Das bedeutet, dass Nachrichten sich nach einer bestimmten Zeit von selbst löschen können. Nachrichten in geheimen Chats kann man nicht weiterleiten, es können keine Screenshots gemacht werden und bei einer Abmeldung werden die Nachrichten gelöscht. Auch die Geschäftsmodelle der verschiedenen Unternehmen geben einen Einblick in das Thema Datenschutz. WhatsApp gehört zu Facebook und verdient sein Geld mit Werbung und dem Verkauf von Daten. Nach eigenen Angaben ist Telegram ein unabhängiges Non-Profit-Unternehmen, welches sich nur durch das Vermögen der Gründer und durch Spenden finanziert. Telegram schaltet keine Werbung und das soll sich laut Telegram auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Mitte Dezember wurde jedoch bekannt gegeben, dass einige neue Funktionen, angesichts des rasanten Wachstums, demnächst kostenpflichtig werden.

Wer steckt hinter Telegram?

Die russischen Brüder Nikolai und Pawel Durow haben Telegram 2013 gegründet. Die beiden Brüder waren davor in Russland schon bekannt, denn 2006 haben sie bereits das in Russland meistgenutzte soziale Netzwerk VKontakte gegründet, ein Pendant zu Facebook. Nikolai Durow ist als Mathematiker und Programmierer eher im Hintergrund von Telegram tätig. Im Vordergrund steht sein Bruder Pawel Durow. Er wird auch oft als „russischer Mark Zuckerberg“ bezeichnet und gilt als russischer Dissident, also eine Person, die öffentlich gegen die allgemeine Meinung oder politische Regierungslinie aktiv auftritt. Sein Vermögen wird auf über 2,8 Milliarden Euro geschätzt. Durow selbst bezeichnet Staaten als „Monster, die dem Einzelnen seine Freiheit rauben“. Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum Telegram nur in seltenen Fällen, wie bei Urheberrechtsverletzungen, Terror oder Kinderpornographie mit Behörden zusammenarbeitet. Mehrere staatliche Versuche der Regulierung von Telegram sind bereits gescheitert. Die Brüder platzieren sich selbst als „digitale Nomaden“ und Verfechter der Redefreiheit. Das komplexe Firmengeflecht und die intransparente Arbeit des Unternehmens werden oft kritisiert. So könne man sich nicht sicher sein, was genau mit seinen Daten passiert. Das Unternehmen hatte seinen Sitz in Russland wegen lokaler IT-Vorschriften verlassen. Neben Singapur und London hatte Telegram zwischendurch seinen Sitz auch schon in Berlin. Nach eigenen Angaben befindet sich der aktuelle Firmensitz in Dubai. Die Firmengründer sind jedoch jederzeit bereit bei Änderungen der dortigen Vorschriften wieder umzuziehen.

Foto: TechCrunch Disrupt Europe: Berlin 2013

Der Pionier unter den Messenger-Diensten

Auch wenn Telegram erst durch die Corona-Pandemie in Deutschland an ungeteilter Aufmerksamkeit erfahren hat, gibt es die App bereits seit sieben Jahren. Wenn man Telegram mit WhatsApp vergleicht, sind die beiden Dienste auf den ersten Blick gar nicht so verschieden. Jedoch bietet Telegram viele Funktionen, die es bei WhatsApp erst später oder noch gar nicht gibt. Ein Beispiel ist das individuelle Designen der App. Hier bietet Telegram durchaus mehr Möglichkeiten als WhatsApp. Auch der Dark Mode wurde zuerst von Telegram eingeführt, bevor er auch in WhatsApp übernommen wurde. Die unzähligen Sticker, die man in Chats verschicken kann oder das automatische Abspielen von mehreren Sprachnachrichten sind schon länger bei Telegram verfügbar. Außerdem kann ein Nutzer bei Telegram mehrere Accounts haben und anstelle eines einzigen Profilbildes ein ganzes Album erstellen. Wenn man bei WhatsApp eine Nachricht löscht, bekommt die andere Person das dennoch angezeigt. Telegram hat diese Funktion nicht. Das heißt man kann nicht sehen, wenn eine Nachricht gelöscht wurde und zusätzlich kann man bei Telegram Nachrichten im Nachhinein bearbeiten. Bemerkenswert ist auch die Erweiterung der Speicherbegrenzung für per Chat verschickte Dateien. Telegram unterstützt hier jetzt Dateien mit bis zu 2 GB statt zuvor 1,5 GB. Bei WhatsApp kann man lediglich Dateien mit bis zu 128 MB bei iOS und bei Android sogar nur mit bis 100 MB verschicken. Auch die Größe der Gruppen unterscheidet sich stark. So können in WhatsApp höchstens 256 Personen in eine Gruppe, bei Telegram kann man Gruppen mit bis zu 200.000 Mitglieder*innen und Kanäle mit unbegrenzten Teilnehmeranzahlen erstellen.

Foto: LoboStudioHamburg, Pixabay

Sammelbecken für Kriminelle und Coronaleugner*innen

Der Messenger-Dienst Telegram zieht jene an, die sich anderswo kontrolliert fühlen. Während Facebook und Instagram zunehmend Hassbotschaften löschen, gibt es auf Telegram nicht einmal die Funktion, gepostete Hakenkreuze oder Hitlergrüße zu melden. Anders als Facebook, Instagram oder Twitter fallen Messenger-Dienste wie Telegram nicht unter das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Der Betreiber muss rechtswidrige Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren. Seit sieben Jahren gilt die App auch deswegen als Drehscheibe für Extremist*innen aller Art, als Rückzugsort für Kleinkriminelle und seit diesem Jahr auch als Sammelbecken aller Verschwörungstheoretiker*innen. Gerade bekanntere Verschwörungstheoretiker*innen nutzen die besondere Struktur der App aus, um Botschaften und eigene Meinungen in selbst erstellten Kanälen mit unbegrenzter Teilnehmer*innenzahl zu posten. Ein Beispiel ist der vegane Kochbuchautor Attila Hildmann, dem in seinem Channel aktuell 115.000 Nutzer*innen folgen. Dort bringt er nicht nur seine Gedanken über die Politik oder deren Corona-Maßnahmen auf tausende Smartphone-Displays, sondern mobilisiert so auch Großkundgebungen, wie zum Beispiel vorm Bundestag in Berlin. Er ist der Meinung, dass Bill Gates und die Bundesregierung die Corona-Krise nutzen würden, um fiese Weltherrschafts-Pläne umzusetzen. So will er seine wirren Theorien und Ankündigungen unters Volk bringen. Darunter sind höchst kritische, potenziell auch volksverhetzende Inhalte.  Das Problem: in diesen Kanälen kann nur die Person etwas schreiben, die den Kanal erstellt hat. Perfekt, um Verschwörungstheorien und Desinformationen zu verbreiten, ohne dass Gegenwind aufkommt.

Laut eigenen Angaben blockiert das Unternehmen auf öffentlichen Kanälen nur illegale Inhalte, wie Urheberrechtsverletzungen oder terroristische Kanäle. Ansonsten will Telegram den Nutzer*innen nämlich die Möglichkeit bieten, ihre Meinungen ohne Einschränkungen und Kontrolle äußern zu können. Das hat jedoch auch den Vorteil, dass Telegram schon öfter bei Pro-Demokratie-Protesten eingesetzt wurde, wie zuletzt in Hongkong, Belarus und Thailand.

Welcher Messenger-Dienst ist der Beste?

Alle Messenger-Dienst haben ihre Vor- und Nachteile. Der größte Vorteil von WhatsApp ist, dass die App fast flächendeckend in der Gesellschaft genutzt wird. Jedoch hat Telegram durchaus viele verschiedene Features und auch aus der technischen Perspektive einiges zu bieten. Telegram hat sich mit seinem Design für eine bessere Nutzbarkeit, wie zum Beispiel die gleichzeitige Nutzung eines Accounts auf mehreren Geräten, und gegen eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung entschieden. Das ist aus Datenschutz-Sicht problematisch. Wer es noch mehr Sicherheit haben möchte, sollte sich über mehrere Messenger-Dienste informieren und diese miteinander vergleichen. Der Whistleblower und ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden, der Enthüllungen und Einblicke in das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten gab, benutzt den kostenlosen Messenger-Dienst „Signal“ und empfiehlt diesen auch weiter. „Signal“ wird von einer gemeinnützigen Organisation geführt und alle Codes sind nach dem Open-Source-Prinzip offen nachzulesen und somit sicher und transparent.

Grundsätzlich sollte man sich bei der Wahl eines Messenger-Dienstes also einige Frage stellen: Wer sind die Betreiber? Wo stehen die Rechenzentren? Wem gehört die Infrastruktur? Und würde es mich stören, wenn Nachrichten von mir abgefangen werden? Expert*innen raten Nutzer*innen gerade zur jetzigen Zeit, mit Homeoffice und Online-Vorlesungen, über die Wahl des Messengers nachzudenken und zu berücksichtigen, dass Daten einen großen Wert haben.


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