Studienanfang auf Distanz

Als Erstsemester hat man es nie leicht. An der Uni ist alles anders, der Campus gleicht einem Labyrinth. Veranstaltungen wählen, erste Abgaben und Fristen treiben so manchem regelmäßig Schweißausbrüche auf die Stirn. Lichtblick sind die neuen Kontakte, die man knüpfen kann, das erste Mal alleine wohnen und die Ersti-Veranstaltungen – von der Kneipentour bis hin zum Ersti-Wochenende. Wie fühlt es sich an, wenn das alles wegfällt?

Foto: Alicia Ernst
Von Karolin Arnold

Wer erinnert sich nicht: Am Tag der Einführungswoche das erste Mal durch das große Tor auf den Campus der JGU laufen. Dabei vermischen sich alle möglichen Gefühle und Gedanken: Angst, Freude, Unsicherheit. Gerade aus der Schule, in der man endlich zu den großen Abiturient*innen gehört hat oder gerade zurück aus dem Auslandsjahr in Australien oder Neuseeland, in dem man hart daran gearbeitet hatte, selbständig zu sein und sich das erste Mal wirklich Erwachsen gefühlt hat. 

Mit dem Gang durch den Torbogen scheint das bei vielen rasend schnell zu verschwinden.  Man irrt mit seinem Lageplan, den mühsam herausgeschriebenen Räumen und Gebäudenummern über den Campus und fühlt sich zwischen all den erfahrenen Student*innen sehr orientierungslos. Gerade in den ersten Wochen ist man dankbar für jede Ersti-Veranstaltung, jeden Ansprechpartner und jeden neuen Kontakt mit den zukünftigen Kommiliton*innen. 

Virtuelle Raumsuche

In diesem Jahr ist aber alles anders. Keine Erstsemester, die orientierungslos über den Campus irren oder voller Vorfreude in die erste Vorlesung stapfen. Kein Ersti-Sektempfang, keine Campus-Ralley, keine Begrüßung im Rewi durch den Präsidenten der JGU. 

Corona hat nicht nur das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt, sondern auch den Hochschulalltag und das Leben von tausenden Studierenden. Erstsemester sein in Zeiten von Corona. Vier Erstis haben mit dem Publizissimus ihre Erfahrungen geteilt:

„Die ganzen Pläne vom Ausziehen und Neuanfang sind erst einmal geplatzt“, berichtet Fenja. Sie ist Erstsemestlerin und studiert Politikwissenschaften und Publizistik. Sie wollte unbedingt ausziehen, fühlte sich endlich bereit dazu – und dann kam Corona. Wie Viele ist sie erstmal bei ihren Eltern geblieben, diese wohnen eine halbe Stunde von Mainz entfernt. Keine große Distanz könnte man da denken, doch die 18-Jährige sagt, sie empfinde es „psychisch als ganz schön große Entfernung“. Es fühle sich nicht wirklich an, als würde sie studieren. Auch Anna und Dennis* waren nicht begeistert von der Nachricht, dass dieses Semester ein anderes sein würde als geplant. Trotzdem, so sagen sie, sei es nach Wochen in denen Unklarheit herrschte, ob es überhaupt ein Sommersemester 2020 geben wird, eine Erleichterung gewesen die Nachricht zu erhalten, dass die Uni auf Online-Lehre umsteigt. 

Digitale Lehre ist nicht nur für uns Studierende eine neue Welt, sondern auch für die Universität und damit auch für die Dozent*innen. Die Schwierigkeiten machen sich vor allem durch Serverüberlastungen und Kommunikationsprobleme bemerkbar. Die Erstsemester, die dem Publizissimus Rede und Antwort standen, merkten alle an, dass es am anstrengendsten war und ist, dass viele Professor*innen verschiedene Plattformen mit Material füllen, man dabei leicht den Überblick verliere und „man darf es sich dann zusammenpuzzeln“, erklärt Anna. Sie, die im ersten Semester Erziehungswissenschaft studiert, steht auch vor der Herausforderung das Wlan zuhause am Laufen zu halten, wenn die ganze Familie Corona bedingt von zuhause arbeitet und alle gleichzeitig die Laptops zum Glühen bringen.  

Die anfängliche Überforderung scheint sich mittlerweile bei den 4 Studienanfänger*innen gelegt zu haben. Dennis, der zuvor schon an einer anderen Hochschule studiert hat, betont, dass „wir Erstis von Anfang an viel Unterstützung erhalten haben“. Trotzdem kann wohl jeder nachempfinden, dass sich auch mit Unterstützung ein Gefühl von Überforderung breit gemacht hat, bei dem auch WhatsApp-Gruppen nur bedingt helfen konnten. 

Vorlesungsbesuch im Schlafanzug 

Die Option, doch nicht im Sommersemester anzufangen, stand für keinen der Erstis im Raum und so arbeiten sie sich durch Moodle und Co durch. Mit dieser Entscheidung steht man dann aber auch vor der Herausforderung, sich seinen eigenen Unialltag zu organisieren. Das Problem haben wahrscheinlich alle Studierenden gerade. Von wo aus arbeite ich? Wann stehe ich auf? Lebe ich nach Stundenplan oder mache ich alles irgendwann anders? Wie also sieht der Arbeitsplatz und Unialltag der Erstis aus? Publizistik-Ersti Feli steht jeden morgen um 9 auf und macht sich an die Vorlesungen und Veranstaltungen, die an diesem Tag an der Reihe sind. Der Versuch, sich an den Stundenplan zu halten, scheitere manchmal an ihr selbst, aber öfter auch daran, dass Dozierende den Zeitplan nicht ganz einhielten. Auch Anna versuchte die ersten paar Wochen, sich nach Stundenplan zu strukturieren. Doch Referate, die mehr Aufwand seien als gedacht, oder die vielen Ablenkungen um sie herum, machen es ihr zunehmend schwerer, von zuhause aus produktiv zu sein. „Das Handy bingt, der Laptop wechselt doch aus Versehen zu Netflix [ …], irgendwas findet man immer, damit man nicht arbeiten muss.“ Auch Dennis und Fenja berichten, dass sie sich größtenteils an die Struktur halten würden, aber es natürlich trotz vieler Schwierigkeiten ein enormer Vorteil sei, sich die Veranstaltungen so legen zu können, wie es gerade passt und man zu jeder Tageszeit auf die Inhalte zurückgreifen könne. Die vier Erstis arbeiten alle meist am Schreibtisch. Der Arbeitsplatz von Anna zeichnet sich durch Zettelberge, viele bunte Textmarker und halbfunktionierende Kulis aus. Wenn der Schreibtisch wie bei Fenja zu klein ist, wird auch mal das Bett zum Vorlesungssaal umfunktioniert. Aber auch der Garten und der Balkon dienen bei Anna und Dennis als willkommener Tapetenwechsel. 

Wenn das Online-Game dem Ersti-Brunch weicht 

Studieren ist aber natürlich mehr als Lernen und Lesen. Zum Studieren gehört eine ganze Menge, was so gar nichts mit Uni im klassischen Sinne zu tun hat. Gerade in der Ersti-Woche stehen vor allem neue Leute kennenlernen, das ein oder andere Bier trinken und Spaß ganz oben auf der To-do-Liste. In Zeiten von Corona ist all das selbstverständlich nicht realisierbar. Irgendwie haben sich die Erstis schon „kennengelernt“ aber eben nur virtuell, „das ist aber natürlich nicht dasselbe, wie im Normalbetrieb“, sagt Dennis. Anna zum Beispiel hat an Online-Meetings teilgenommen, die von der Fachschaft organisiert wurden und konnte so wenigstens am Bildschirm ein paar ihrer Kommiliton*innen kennenlernen, vergleichbar mit einer normalen Ersti-Veranstaltung ist natürlich auch das nicht. Durch Gruppenarbeiten und Referate ist man daran gebunden, Kontakt zu anderen aufzunehmen und daraus ergibt sich dann oft auch ein reger Austausch auf WhatsApp. An kreativem Geist fehlt es den Studierenden scheinbar nicht, so haben sich die Politikwissenschaftler*innen einen Minecraft-Server gemietet, auf dem gezockt, geredet und gechattet wird, berichtet Fenja. Sie habe da auch schon ein sehr nettes Mädchen kennengelernt.  Solange also social distancing angesagt ist, behelfen sich Erstis und Fachschaften mit neuen Wegen.

Bis die Ersti-Woche nachgeholt wird, vergehen wahrscheinlich noch etliche Monate, die Vorfreude darauf ist aber bei allen vier Erstis deutlich zu spüren. „Die studentischen Freiheiten“, wie Feli sie nennt, vermissen alle. Unter der Woche feiern gehen, sich seinen Alltag mehr oder weniger frei gestalten, die SÖF und alles was sonst noch so zum Leben als Student*in dazugehört, scheint in vollen Zügen ausgenutzt werden zu wollen, sobald es wieder möglich ist. 

Klausurenphase ohne Bib, Klausuren in der Schwebe 

Die studentischen Freiheiten müssen in normalen Semestern auch oft für ein paar Wochen pausieren. Nämlich dann, wenn Klausuren anstehen und die Studierenden sich um beliebte Arbeitsplätze in der Bibliothek streiten. Der Teil der Klausurenphase, in dem mit überfüllten Bibliotheken gekämpft wird, wird in diesem Semester höchstwahrscheinlich wegfallen, Klausuren und Prüfungen stehen aber trotzdem an. Besonders für die Erstsemester ist das eine enorme Belastung. Zu dem normalen Stress und der Angst vor den ersten Klausuren kommt dieses Jahr noch hinzu, dass unklar ist, wie Klausuren und Prüfungen realisierbar sind. Diese Sorge begleitet alle vier durch ihr Semester. 

Wenn die Vorlesung schneller vergeht als geplant 

Ersti sein ist aufregend und mit vielen neuen Hürden verbunden. In Zeiten von Corona treffen da die üblichen Sorgen, Ängste und Erwartungen mit den Herausforderungen der Pandemie zusammen. Die vier Erstis, die dem Publizissimus Einblicke in ihren Corona-Studialltag gewährt haben zeigen, dass es Schwierigkeiten gibt und es auf keinen Fall leicht ist, sich auf dem virtuellen Campus zurecht zu finden. Sie zeigen aber auch, dass sich die Erstis unter sich, die Fachschaften sowie die Uni-Verwaltung und Dozierenden große Mühe geben, dass das meiste funktioniert. Alle vier zeigen sich motiviert und haben trotz der Umstände Spaß an ihren Fächern. Die Perspektive, dass es kein Dauerzustand sein wird, die SÖF, die Ersti-Woche und alles, was zum Studentenleben dazugehört irgendwann nachgeholt werden kann, scheint ihnen Mut zu machen. Die Erstis sitzen dieses Mal mit allen anderen Studierenden und Dozent*innen in einem Boot. Auf die Frage, was sie denn Positives aus dem Online-Semester ziehen kann, antwortet Fenja: „Zum Beispiel ist es sehr angenehm, manche Vorlesungen in 1,25-facher Geschwindigkeit zu hören.“ Eine positive Erfahrung, die wohl alle Studierende, ob Ersti oder nicht, gerade machen.  

*Name von der Redaktion geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt 


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