Quibi – Die Chronik eines milliardenschweren Scheiterns auf dem Streamingmarkt

Vielen dürfte der Name der App mittlerweile entfallen sein, manche hören ihn vielleicht in diesem Artikel zum ersten Mal: Denn es erscheint mittlerweile wie ein Fiebertraum, dass es einmal einen Streamingdienst namens Quibi gegeben hat. Quibi sollte 2020 eine „Lücke“ auf dem Streamingmarkt schließen und durch die Möglichkeit eines wechselnden Bildformats Streaming „on the go“ vereinfachen. Trotz 1,75 Milliarden Dollar Startkapital und mehrerer hochprominenter Organisatoren scheiterte das ehrgeizige Projekt noch im selben Jahr und wurde im Januar 2021 an einen anderen Dienstleister verkauft. Möglicherweise hätte man das bei genauerem Betrachten des Konzepts voraussehen können. Doch was führte letztendlich zu dem Scheitern des eigentlich vielversprechenden Projekts?

Von Kim Brückmann

Karikatur: Kim Brückmann

Die Idee hinter Quibi schien grundsätzlich aussichtsvoll zu sein: Quibi steht nämlich für „Quick Bites“, also schnelle Happen, die man auf einer Mobil-App in Form von kurzen Serienformaten anschauen konnte. Eine Episode dauerte dabei nicht mehr als 10 Minuten und konnte nicht nur vertikal, sondern auch horizontal angesehen werden. Auch von jedem Film wurden immer zwei Fassungen angeboten: eine episodisch aufbereitete Version mit mehreren Teilen zu je etwa 10 Minuten und den Film als Ganzes. Damit sollte Streaming „on the go“ für Zuschauer*innen von heute, die viel unterwegs sind, einfacher werden. Der amerikanische Filmproduzent und Mitbegründer sowie CEO von Dreamworks, Jeffrey Katzenberg, gründete den Streamingdienst 2018. Unterstützung erhielt er dabei von großen Hollywood-Studios wie Disney, NBC Universal oder Warner Media und auch Google und T-Mobile gingen Partnerschaften mit Quibi ein – und das, noch bevor der Streamingdienst überhaupt für die Öffentlichkeit nutzbar war.

Katzenberg selbst erklärte das Interesse in einem Interview vor Quibis Start so: “Every media company is an investor in Quibi, for a couple of reasons. If we are successful, this will be the third generation of film narrative. The creators who led the movie industry when television came along went into that business and dominated it. The exact same thing is going to happen here. The studios understand that if we’re right, this could be a blockbuster.”

In den eigens produzierten Serien und Reality-TV-Formaten auf der App spielten zudem bekannte Stars die Hauptrollen, darunter etwa Comedian Kevin Hart, Schauspieler*innen wie Reese Witherspoon, Will Smith und Dwayne „The Rock“ Johnson oder Supermodel Chrissy Teigen. Auch hinter der Kamera sollten Regisseure und Oscar-Preisträger wie Steven Spielberg Zuschauer*innen anlocken.

Der Anfang vom Ende

Am 6. April 2020 wurde die App mit 50 originalen Serienformaten veröffentlicht. In der ersten Woche wurde die App laut Katzenberg 1,75 Millionen Mal installiert. Bis Mitte Mai stieg die Kund*innenzahl auf drei Millionen, von denen 1,3 Millionen aktive Nutzer*innen waren. Ein Artikel des Wall Street Journals prognostizierte drei Monate nach der Veröffentlichung von Quibi, dass die App nach ihrem ersten Jahr nicht mehr als 2 Millionen Abonnenten haben werde. Quibi selbst hatte mit 7,4 Millionen Abonnenten gerechnet. Nach dem kostenlosen Testzeitraum von 90 Tagen hatten im Juni 2020 über 90 Prozent der anfänglichen Nutzer ihr Abo beendet.

Im Oktober 2020 wurde dann bekannt gegeben, dass die App bis Dezember desselben Jahres wieder vom Markt verschwinden werde. Katzenberg schrieb die Probleme und das Scheitern von Quibi der Corona-Pandemie zu, welche die Rahmenbedingungen für den Erfolg des Streamingdienstes verändert und zum Scheitern geführt haben soll. Demnach habe sich die Welt seit dem Start von Quibi stark verändert und sein Geschäftsmodell könne in dieser Umgebung einfach nicht mehr bestehen.

Ein milliardenschweres Scheitern

Auch wenn die Pandemie sicherlich einen Anteil am Scheitern von Quibi trägt, wurde durch Expert*innen- und Zuschauer*innenstimmen deutlich, dass noch viele weitere Gründe zu dem vorzeitigen Ende von Quibi beigetragen haben. Zum einen schien der Preis für viele Nutzer*innen zu hoch zu sein, die sich nach der kostenlosen Probezeit wieder von dem Anbieter trennten. In den USA kostete das günstigste Abonnement 4,99 Dollar im Monat, allerdings mussten Zuschauer*innen dafür vor jeder Episode einen Werbespot anschauen. Das werbefreie Abonnement kostete 7,99 Dollar; in Deutschland sogar 8,99 Dollar und hier wurde die günstigere Variante gar nicht erst angeboten. Zudem konnte man einen Account nicht teilen. Zudem schien Quibi verhältnismäßig teuer, wenn man bedenkt, dass beispielsweise ein werbefreies Disney+-Abonnement nur 6,99 Euro kostet, dort jedoch mehr Filme und Serien inbegriffen sind. Zudem veröffentlichte Quibi nur Inhalte in englischer Sprache mit englischen oder spanischen Untertiteln, was eine weitere Barriere für viele Zuschauer*innen darstellte.

Bei Quibi standen anfangs nur 50 originale Serienformate zur Verfügung, deren inhaltliche Qualität von vielen Seiten angezweifelt wurde. Trotz Top-Regisseuren und Stars konnten viele Serien die Zuschauer nicht überzeugen und ihre Daseinsberechtigung war teilweise auch nicht erkennbar. Ein Beispiel dafür war „Chrissy’s Court“, eine Serie, in welcher das Model Chrissy Teigen versuchte, echte juristische Fälle als Richterin zu beurteilen. Ihre Urteile sollen rechtsverbindlich gewesen sein, obwohl sie selbst außerhalb der Serie nichts mit dem Rechtssystem zu tun hat und ihre Entscheidungen offenbar ganz nach Gefühl  nach traf.

Fehlendes Marketing und Frustrationen

Doch von Inhalten wie „Chrissy’s Court“ oder anderen originalen Serien erfuhren die meisten Menschen außerhalb der App sowieso nichts, denn Quibis Marketing-Strategie beinhaltete nur Werbung für die App an sich. Andere Streaming-Dienste wie Netflix haben bereits früh verstanden, dass die von ihnen bereitgestellten Inhalte potenzielle Zuschauer*innen von einem Abo am ehesten überzeugen können. Denn wenn Zuschauer*innen eine bestimmte Serie schauen möchten, die es nur bei einem Anbieter gibt, dann müssen sie dieses Abo zwangsläufig abschließen. Doch dafür müssen die Serien an sich erst einmal beworben werben. Quibi war diesbezüglich anders vorgegangen: Selbst die Werbung beim Superbowl beinhaltete nur vage Informationen zur App an sich, ohne die Eigenproduktionen zu zeigen. Ein Grund dafür könnte sein, dass auch wenn Quibis Formate qualitativ hochwertig produziert wurden, ein Serienhit wie „Stranger Things“ (Netflix) von Anfang an fehlte und auch mit der Zeit nicht dazukam – und damit fehlte eben jener entscheidende Anreiz, sich den Streamingdienst herunterzuladen.

Seit Beginn hat es zudem bei den Usern für Frustration gesorgt, dass die Inhalte von Quibi nur auf dem Handy angesehen werden konnten und nicht auf größeren Bildschirmen, wie etwa dem eigenen Fernseher. Katzenberg kündigte diese Funktion daraufhin für Mai 2020 an. Doch erst im Oktober wurde die App auch für die Fernseh-Streaming-Plattformen Apple TV, Amazon Fire TV und Android TV veröffentlicht.

Auch wenn die Grundidee von Quibi mit dem wechselnden Bildformat und Streaming „on the go“ durchaus erfolgsversprechend erschien, scheint Quibi letzten Endes an der Umsetzung der Plattform und dem Veröffentlichungszeitpunkt gescheitert zu sein. Denn der Streamingdienst konnte nie seine Daseinsberechtigung legitimieren oder genügend Anreize für seine Nutzer*innen durch Inhalte schaffen. Es bleibt abzuwarten, ob andere Streamingdienste in der Zukunft dazu in der Lage sein werden und ein ähnliches Konzept auf den Markt bringen. Ausgeschlossen werden kann dies nicht, denn das Potenzial war von Anfang an da – das Konzept scheint nur noch nicht vollständig ausgereift gewesen zu sein.


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