Närrische Normalität kehrt zurück?

Nach fast zwei Jahren närrischer Enthaltsamkeit kann nun am 11.11.2021 wieder real gelebt werden, was bei der letzten Fastnachtsfeier coronabedingt nur virtuell möglich war. Wie ist die Stimmung vor Ort?

Giulietta Ober unterwegs als rasende Reporterin für den Publizissimus (Foto: Giulietta Ober)
Von Giulietta Ober

Elf Uhr fünf. Auf dem Weg zu den Toren des närrischen Treibens türmen sich an diesem 11.11. schon die Berge an leeren Dosen und Flaschen. Vor den Eingängen zum Schillerplatz sammeln sich Trauben von Menschen, die noch ihre Getränke leeren, in der Schlange warten oder mit den Sicherheitskräften diskutieren, weil sie kein Ticket mehr bekommen haben. Manch anderer hat die „Mische“ unter- oder seine Alkoholverträglichkeit überschätzt und macht sich wieder auf den Weg nach Hause. Schon aus 100 Metern Entfernung hallt einem die Sambamusik bei Temperaturen knapp über dem Nullpunkt entgegen. Julia aus Frankfurt ist warm in ein Einhornkostüm eingepackt und meint: „Ich muss zugeben, ich muss mich erst wieder daran gewöhnen, so nah mit Menschen zusammen zu stehen und zu tanzen. Gerade fühlt es sich noch etwas surreal an, aber ich denke der Alkohol hilft auch dabei, das zu vergessen und sich fallen zu lassen“.

Einmal die Absperrung passiert, liegt eine unglaubliche Stimmung in der Luft: Alles scheint normal zu sein – und irgendwie auch doch nicht. Trotz Aufenthalts an der frischen Luft fühlt es sich in den ersten Minuten fast verboten an, sich im öffentlichen und engen Raum ohne das Tragen einer Maske so nah zu sein.

Auch Gardisten sind im bunten Treiben dabei (Foto: Giulietta Ober)

Schon beim Fernsehen ist das Auge so an Masken gewöhnt, dass der Anblick Unbehagen aufkeimen lässt, wenn eine Person bei einem Dreh vor Corona beispielsweise einen Laden ohne Maske betritt. Und nun ist diese Tatsache auf einmal wieder ganz real und lässt einen für einen Tag zu einem Zustand zurückkehren, in dem man sorglos feiert. Obwohl die Corona-Zahlen bundesweit steigen, ist der Andrang auf die Fastnachtsveranstaltung groß. Erstmals überhaupt kostet die Narrenparty am 11.11. Eintritt: Fünf Euro werden beim Ticketkauf erhoben. Grund dafür sind die durch die Corona-Regeln entstandenen Mehrkosten für Absperrungen und Sicherheitskräfte. Diese kontrollieren an den Eingängen nach dem 2G-Prinzip, ob man genesen oder geimpft ist. Am 08. Oktober hat der Vorverkauf des Mainzer Carneval-Vereins begonnen und nach knapp zwei Tagen landeten Ticketinteressierte bereits auf der Warteschlangen-Seite. Schwierigkeiten an Karten zu kommen hatten auch Verena und Paul aus Budenheim. Die beiden erinnern sich: „Die Webseite war total überlastet und wir saßen bis nachts vor dem Bildschirm, bis es endlich geklappt hat“. Hat sich das gelohnt? „Auf jeden Fall!“, finden die beiden Freunde. „Man hat auch Sehnsucht nach etwas Normalität und es tut gut, mal wieder so ausgelassen zu feiern“. Alina aus Mainz hatte da etwas mehr Bedenken: „Als bekannt gegeben wurde, dass noch mal 3000 Tickets mehr verkauft werden sollen, hab‘ ich echt lange überlegt, ob ich noch kommen soll oder ob mir das zu unsicher ist“. 

Piraten und Gardisten tummeln sich dicht gedrängt vor der Bühne (Foto: Giulietta Ober)

Als die Zeiger der überdimensionalen Uhr auf der Bühne elf Uhr zehn anzeigen, ist die Stimmung auf dem Schillerplatz kaum in Worte zu fassen. Fast zwei Jahre lang war das Gebot der Stunde, Abstand zu halten. Da, wo in vergangenen Jahren 10.000 Menschen feiern, haben sich etwa 6000 Feierwütige versammelt, um bei der Verkündigung des närrischen Grundgesetzes mit einem dreifach donnernden Helau die fünfte Jahreszeit einzuläuten. Den Pflichten der Narrencharta kommen die Feiernden natürlich gewissenhaft nach.

Wer feierwütig ist, lässt sich auch gerne interviewen (Foto: Giulietta Ober)

So steht in Artikel 10 niedergeschrieben: „Von Neujahr bis zum Aschermittwoch können alle Mainzer*innen zu närrischen Diensten verpflichtet werden. Wer den Einsatz an Konfetti-kanonen oder Holz-gewehren aus Gewissensgründen verweigert, kann einen Ersatzdienst als Büttenredner oder Sänger leisten, soweit dies dem Volk zuzumuten ist“.

Bekannte Fastnachtshits laden zum Mitgrölen ein und dicht vor der Bühne am Fastnachtsbrunnen scheinen beim Moshpit keine Gedanken mehr auf Mindestabstand und das Tragen einer Maske im Alltag verschwendet zu werden. Auch Leon ist froh, den Beginn der fünften Jahreszeit zu feiern: „Natürlich ist es ungewohnt, wieder so viele Menschen auf einem Haufen zu sehen. Aber nach zehn Minuten hat sich alles wie früher angefühlt, irgendwie nostalgisch. Man merkt erst jetzt, wie sehr das einem eigentlich gefehlt hat“, erzählt der 22-Jährige gebürtige Mainzer. Auch Gabriele kommt aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und findet an Fastnacht besonders schön, dass so viele Menschen verschiedenen Alters zusammenkommen und feiern: „Das liegt an der Meenzer Lebensart – diese Offenheit“. Auch die Sicherheitskräfte ziehen eine positive Bilanz: Die Stimmung sei weitestgehend friedlich und aggressionsbedingte Einsätze seien selten. Allerdings mache sich der steigende Alkoholpegel bemerkbar. Gegen Nachmittag stolpern viele bereits zurück nach Hause. Hannah aus Berlin ist für das Studium nach Mainz gezogen und hält bis zum Ende durch: „Das war meine erste Fastnachtsfeier und ich bereue es nicht, hergekommen zu sein. In Clubs konnte man ja auch schon wieder feiern gehen und so an der frischen Luft und mit 2G fühle ich mich sicher“. Obwohl sich Gedanken an steigende Inzidenzen nicht ganz vertreiben lassen, gehen die meisten Feiernden mit einem guten Gefühl nach Hause und hoffen, dass sie ihre gerade zurückgewonnenen Freiheiten sowie die Nähe zueinander nicht bald schon wieder aufgeben müssen.


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