True Crime: Mord & Totschlag treffen auf seichte Unterhaltung

True Crime, damit kann inzwischen fast jede*r etwas anfangen. Egal ob im Fernsehen, in Zeitschriften oder als Podcast, realkriminelle Geschichten gibt es überall – das Angebot wächst stetig. Besonders in den letzten Jahren hat das Genre an Beliebtheit gewonnen. Doch ist das alles nur harmlose Unterhaltung? Denn inwiefern ist es gerechtfertigt, Mord, Totschlag und andere Verbrechen zum Vergnügen zu konsumieren? Woher kommt der Hype und warum sprechen die Formate vor allem Frauen an?

©Luisa Hansen
Von Luisa Hansen und Elise Duthie

Sowohl beim Spazieren und während des Kochens als auch zum Einschlafen: True Crime scheint mittlerweile aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken zu sein. Dabei sind True Crime Formate keine neue Erscheinung der letzten Jahre. Wie der Name bereits sagt, handelt es sich dabei um die Nacherzählung wahrer Verbrechen. Erste Aufzeichnungen dieser Art gab es schon Mitte des 16. Jahrhunderts in Form von Flugblättern oder ähnlichen Druckerzeugnissen. Inwiefern diese wirklich recherchiert und dementsprechend wahr waren, ist nicht immer eindeutig zu klären. Inzwischen gibt es Formate aller Art: von seriös recherchierten Dokumentationen bis zu reißerischen YouTube-Videos oder monatlich erscheinenden Zeitschriften ist fast alles dabei. Besonders Podcasts haben den aktuellen Hype vorangetrieben. Der US-amerikanischen Podcast Serial, der 2014 veröffentlicht wurde, gilt als ausschlaggebendes Vorbild für einige deutsche True Crime Podcasts. Im deutschsprachigen Raum heißen die bekanntesten Angebote: Mordlust, Weird Crimes oder ZEIT Verbrechen. Die Liste ließe sich ewig weiterführen, allein die Spotify-Charts führen 50 deutschsprachige True Crime Formate auf.

Warum uns True Crime nicht mehr loslässt

Die Zielgruppe von True Crime Formaten ist größtenteils weiblich, aber auch Menschen, die sich für die psychologischen Hintergründe interessieren, gehören dazu. Ähnlich wie zum Beispiel bei Horrorfilmen tritt beim Konsumieren von True Crime Formaten das Phänomen der sogenannten „Angstlust“ auf. Darunter wird eine Verbindung der eher gegenteiligen Gefühle Angst und Lust verstanden, die dafür sorgt, dass Menschen sich gruseln, obwohl sie wissen, dass sie in Sicherheit sind. Das menschliche Gehirn kann nicht zwischen realer Angst und der Vorstellung dieser unterscheiden. Viele Menschen bekommen Angst, wenn sie Horrorfilme schauen, wenn sie dann aber realisieren, dass es nicht echt ist, kann das zur Ausschüttung von Glückshormonen führen. Diese Angstlust trägt aufgrund der Freisetzung verschiedener Hormone, die gut für den Körper sind, der körperlichen Gesundheit bei.

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Die Faszination realer Verbrechen

Vor allem Frauen scheinen von True Crime begeistert zu sein. Unterschiedliche Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis der Konsument*innen von True Crime: etwa 60-70% dieser sind weiblich. Gibt es dafür eine Erklärung?

Eine mögliche Erklärung ist, dass laut polizeilicher Kriminalstatistik aus dem Jahr 2018 die Angst vor Verbrechen steigt. Laut der Statistik haben Frauen verstärkt Angst, Verbrechen zum Opfer zu fallen und das, obwohl Männer statistisch gesehen häufiger Opfer von Verbrechen sind, meist durch andere Männer. Vor allem Frauen bauen durch den Konsum solcher Inhalte eigene Schutzmechanismen auf. Sie hoffen durch das Wissen, wie Kriminelle ticken, sich selbst schützen zu können und nicht zum Opfer zu werden. Die US-amerikanische Psychologie Professorin Amanda Vicary geht davon aus, dass dieser Wunsch Konsument*innen unbewusst weiter dazu antreibt, sich immer wieder von Neuem mit True Crime auseinanderzusetzen.

Konsument*innen wollen verstehen, was in dem Gehirn von Täter*innen vorgeht – je brutaler desto spannender. Oftmals stellen die Fälle, die thematisiert werden, eine große Faszination dar. Einerseits sind viele abwegig, grausam und unglaublich und andererseits kommen viele erschreckend nah an die Lebenswelt und den Alltag vieler Menschen ran. Viele der Rezipient*innen möchten verstehen, wieso jemand tötet, was die Auslöser dafür sind und wie Menschen zu Täter*innen werden. Viele haben außerdem den Wunsch, selbst Kriminalfälle aufzuklären, wie zum Beispiel zahlreiche Facebookgruppen, in denen sich Menschen amateurhaft genau damit beschäftigen, beweisen.

Amanda Vicary sagt außerdem, dass auch der Aspekt sozialer Gerechtigkeit eine entscheidende Rolle spiele. Der Wunsch, Fehler im Justizsystem zu erkennen, ungelöste Fälle aufzuklären und unschuldige Personen aus dem Gefängnis zu holen, reizt viele. Aber auch das ist kein neues Phänomen, wie die Sendung Aktenzeichen XY ungelöst im ZDF zeigt, die es schon seit über 50 Jahren gibt. Sie beschäftigt sich mit der Bekämpfung und Aufklärung realer Verbrechen, wobei Zuschauer*innen selbst mithelfen können, die Fälle zu lösen.

Das Problem an der Sache

Mit dem zunehmenden Erfolg der Nacherzählung wahrer Verbrechen nimmt auch die Kritik daran zu. Das eine Problem aber, das sich auf alle True Crime Formate bezieht, gibt es so nicht. Viele Angebote weisen individuelle Kritikpunkte auf.

Eine Kontroverse lässt sich jedoch mit Sicherheit auf das gesamte Genre übertragen: Die Sensationslust, sowohl der Konsument*innen als auch der Verfassenden dieser Inhalte. Diese sollte kritisch betrachtet oder zumindest hinterfragt werden. Es gibt ein riesiges Spektrum zwischen Aufklärung und Unterhaltung, auf dem sich alle Formate bewegen. Wie die Kolumnistin Margarete Stokowski in einem Spiegelartikel vom 18. Mai letzten Jahres kritisiert, sind besonders die, die sich eher der Unterhaltung zuordnen lassen, oft berechtigterweise mit dem Vorwurf konfrontiert, voyeuristisch-detaillierte Inhalte zur Darstellung zu bringen. Damit könnten sie einerseits Nachahmungstaten ermöglichen und andererseits Persönlichkeitsrechte von sowohl Opfern als auch Täter*innen verletzen. Laut Bernd-Rüdeger Sonnen, Rechtswissenschaftler an der Uni Hamburg, könne ein häufiger Konsum von True Crime zu einer erhöhten Kriminalitätsfurcht der Rezipierenden führen, was wiederrum mit gesteigertem Misstrauen und Angst einhergehe.

Die Kommunikationswissenschaftler Robertz und Kahr machen in ihrem Buch Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus aus dem Jahr 2016 deutlich, dass dadurch, dass der Fokus der Berichterstattung oftmals auf der Tat und den Täter*innen liegt, die Opfer in den Hintergrund geraten und die Täter*innen teilweise als genial und identifizierbar glorifiziert werden.

Der ethische Aspekt der Sensationslust ist wohl der größte Kritikpunkt, der sich ausnahmslos auf alle Formate anwenden lässt.

@elhotzo

Denn egal wie seriös recherchiert ein Fall ist – es bleibt die Frage, ob sich Mord, Totschlag und andere Schwerverbrechen dazu eigenen, in diesem Ausmaß Gegenstand von öffentlichem Interesse zu sein. Sollten solche sensiblen Inhalte wie selbstverständlich, immer und überall abzurufen sein?

Lassen sich nach all der oben angeführten Kritik dann überhaupt positive Aspekte am Phänomen True Crime finden? Die kurze Antwort lautet: Ja. Ein Beispiel dafür ist der bereits genannte Podcast Serial. Er hat durch seine Investigativ-Recherche die Wiederaufnahme eines Prozesses erwirkt und so zur Aufklärung des Verbrechens beigetragen. Außerdem kann Opfern und Geschädigten der Straftaten eine Plattform geboten werden. Einige Fälle sind durchaus von legitimem öffentlichen Interesse, weshalb eine Berichterstattung nicht nur berechtigt, sondern sogar notwendig sein kann. Entscheidend ist vor allem, wie darüber berichtet wird und dass ethische und journalistische Standards dabei eingehalten werden.


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