Wenn der Oscar zur Nebensache wird

Die Oscar-Verleihung steht für hochkarätige Gäste, prunkvolle Garderoben, die glänzende Oscar-Statue die würdevoll mit dem berühmten Satz „And the Oscar goes to…“ an die Gewinner*innen überreicht wird. Dieses Jahr machte die Oscar-Verleihung aber durch einen anderen Vorfall Aufsehen, denn der Schauspieler Will Smith ohrfeigte vor allen Anwesenden den Comedian Chris Rock.

Von Lisa Kaus

Inzwischen weltbekannt, wurden 1929, zwei Jahre nach der Gründung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, in Los Angeles erstmalig die Oscars verliehen. Bereits nach einem Jahr wurde auch die Medienwelt auf die Oscar-Verleihung aufmerksam und die Veranstaltung wurde live im Radio übertragen. 23 Jahre später wurde die Verleihung erstmalig im Fernsehen übertragen und 1966 feierte die Verleihung ihr Debüt im Farbfernsehen. Internationale Filmbegeisterte mussten sich aber noch bis Ende der 60er-Jahre gedulden um mit den Nominierten mitfiebern zu können, erst 1969 konnten neben den USA und Kanada auch über 200 andere Länder weltweit die Verleihung im Fernsehen verfolgen.

What was going on?

Über die Zeit hat sich die Verleihung der Oscars zu einem weltweiten Großevent entwickelt, mit vielen Fans und noch mehr Kritikerinnen, die mit achtsamen Blicken Garderoben, Veranstaltungsablauf und Laudationen jurieren.

In diesem Jahr wurde die goldene Statue bereits zum 94. Mal an die Gewinnerinnen überreicht, doch im Mittelpunkt stand diesmal ein anderes Ereignis – Will Smith ohrfeigte vor allen Anwesenden den Comedian Chris Rock während dessen Auftritt.

Um die Zusammenhänge dieser handgreiflichen Reaktion zu verstehen, muss man einige Jahre zurückgehen. Will Smiths Frau Jada macht im Jahr 2018 in einem Interview mit „Red Table Talk“ öffentlich, dass sie an Alopecia areata, auch als kreisrunder Haarsaufall bekannt, erkrankt ist. Für sie sei das ein Schock, den sie nur langsam verarbeiten kann, war ihr dickes Haar doch früher ihr Markenzeichen. Anfangs versucht sie noch die kahlen Stellen unter bunten Turbans zu verstecken und anschließend, sich mit verschiedenen Kurzharrschnitten mit der Krankheit zu arrangieren. Mittlerweile trägt Jada ihr Haar schon lange kurz, sehr kurz, sie hat einen Weg gefunden mit dem Haarausfall zu leben und sich auch ohne zu Verstecken wieder öffentlich zu zeigen. Die Öffentlichkeit, das sind auch die Oscar-Verleihungen, welche sie dieses Jahr gemeinsam mit ihrem Mann Will besucht hat. Beide wirkten zu Beginn der Veranstaltung noch sichtlich positiv gestimmt, wenngleich Jada angespannt wirkte. Die gute Laune schlug um, als Chris Rock die Bühne betrat. Durch seinen trockenen Humor schaffte er es zunächst einige Lacher aus den Kehlen der Zuschauer*innen, auch aus denen der Smiths, zu locken. 

Mit einem Gag ging er dann aber zu weit: „‚G.I. Jane 2‘ –  can’t wait to see it!“, witzelte er und richtete seinen Blick zu den Smiths. Die Anspielung ging auf eine Szene des Films „Die Akte Jane (im Original: G.I. Jane) zurück, in welchem sich die Hauptdarstellerin die Haare abrasiert. Nur wenige Augenblicke nach der Pointe fing die Kamera Wills Gang zur Bühne ein, mit schnellen Schritten ging er in Chris Rocks Richtung und ohrfeigte ihn mitten während seines Auftritts. Mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck kehrte er zu seinem Platz zurück und schrie von dort aus zweimal in Rocks Richtung, dass dieser den Namen seiner Frau nicht in seinen  Mund nehmen solle.

Ein Entschuldigungsversuch

Vielen war die Unsicherheit über den Vorfall anzumerken, gehört er doch so gar nicht zu dem sonst so festlich-elitären Rahmen einer Oscar-Verleihung. Im Nachfolgenden wurde versucht, die peinliche Situation mit Humor zu neutralisieren, dieser schien vor allem den Geschmack von Will Smith zu treffen, lachte er doch selbstbewusst bei den Gags über ihn und sein Verhalten mit. Den Beteiligten gelang es somit, die Stimmung wieder auf ein Hoch zu bringen und die unvermeidliche Diskussion über die Konsequenzen auf außerhalb der Veranstaltung zu verlagern. Erst nachdem Will später am Abend seinen eigenen Oscar als bester Hauptdarsteller für den Film „King Richard“ verliehen bekam, tauschte er Lacher gegen Tränen und entschuldigte sich für sein Verhalten. Während seiner Danksagung sagte Will Smith wortreich nichts.  

Die Laudator*innen blickten ihn dabei versteinert an und blieben trotz der von Smith emotionalisierten Rede unterkühlt. „Love will make you do crazy things“, war sein Erklärungsversuch und abschließend sprach er noch die Hoffnung aus, auch in Zukunft weiterhin von der Academy Einladungen für das begehrte Event zu bekommen. Trotz seines Wutausbruchs schien der überwiegende Teil zu dem beliebten Schauspieler zu halten. Er bekam mehrfach Applaus, auch während der unter Tränen und zittriger Stimme gehaltenen Danksagung – und das, obwohl eine Entschuldigung an Chris Rock an diesem Abend ausblieb und erst später via Instagram erfolgte. In einem ausführlichen Post beschrieb er zwei Tage nach der Veranstaltung sein Verhalten selbst als inakzeptabel und unentschuldbar. Der Angriff auf seine Frau habe ihn emotional handeln lassen und er entschuldige sich öffentlich bei Chris Rock, der Academy sowie allen Beteiligten. Auch Jada reagierte mit einem Instagram-Post auf die Situation und schrieb: „This is a season for healing and I’m here for it“, der Post erschien am selben Tag wie der ihres Mannes. 

Die Academy zog Konsequenzen

Wills Angriff war auch noch Tage nach der Oscar-Verleihung ein Thema. Am 01.04.22 schrieb das Branchenblatt „Variety“, dass Will Smith aus der Academy of Motion Picture Arts and Sciences austreten wird. Er selbst gab an, dass er der Academy durch seinen Austritt wieder ermöglichen möchte, das künstlerische und kreative Schaffen in der Branche zu unterstützen. David Rubin, der Präsident der Academy, nahm Smiths Rücktritt an, machte aber deutlich, dass dies nicht zur Beendigung des aufgenommenen Disziplinarverfahrens gegen den Schauspieler führt. Am achten April kam die Academy zu dem Ergebnis, dass Smith für zehn Jahre von allen Academy-Veranstaltungen ausgeschossen bleibt – auch von den Oscar-Verleihungen. Weder virtuell oder persönlich darf er den Programmen beiwohnen, laut „Variety“ schließt das aber zukünftige Nominierungen und Gewinne des Oscars innerhalb der genannten zehn Jahre nicht aus. Die Folgen für den Schauspieler sind weittragend und befinden sich zurzeit noch in einer dynamischen Entwicklung für seine berufliche Karriere. 

Will Smith muss die Konsequenzen seines Handelns erdulden, aber was ist mit Chris Rock? War er nicht eigentlich der Auslöser für Wills Reaktion?  Will Smith und jedes Detail über seinen Vorfall polarisiert aktuell in der Presse, Chris Rock wird dabei meist als Opfer dargestellt. In gewisser Weise mag das zutreffen, aber die eigentliche Frage ist hierbei, wann Humor seine Grenzen überschreitet und ob es nicht an Geschmacklosigkeit grenzt, sich über die Krankheiten anderer zu amüsieren. Es stellt sich aber auch die Frage, ob es von Nöten ist, seine Wut und sein Unverständnis über einen solchen Scherz öffentlich und in einer Liveshow auszuleben, noch dazu auf diese primitive Weise. Als Medienprofis hätten sie es beide besser wissen müssen, denn eine Oscar-Verleihung ist nicht der geeignete Rahmen, um Revierkämpfe unter Männern auszutragen. Die Medienwelt versteht sich darin, solche Skandale zu inszenieren, als Schauspieler und Comedian werden sie daran bereits gewöhnt sein, vielleicht auch weil sie die Gewissheit haben, dass bald ein neues Thema aus Hollywood die Schlagzeilen über die eigene Person verblassen lassen wird.


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