„Machen Sie bitte ihre Ausbildung weiter“

Jessica Kunert ist eine Globetrotterin. Nach Stationen in London, München und Hamburg ist sie nun seit dem Wintersemester als Juniorprofessorin am IfP tätig. Im Interview spricht sie über ihre ersten Eindrücke in Mainz, Völkerverständigung mit Bastian Schweinsteiger und erklärt, warum Journalist*innen nicht durch Algorithmen ersetzt werden können.

Credits: ©Jessica Kuhnert
Von Amelie Wingerter

Herzlich willkommen hier in Mainz. Sie haben mitten in der Pandemie an der Uni angefangen. Haben Sie denn schon Zeit gehabt, Ihr Büro einzurichten?  

Das habe ich noch nicht gehabt. Aber ich konnte es zumindest in Augenschein nehmen.  

Wie ist denn bisher Ihr erster Eindruck von der Stadt und von der Uni?

Sehr, sehr schön. Mainz ist eine wunderschöne Stadt, wie ich festgestellt habe. Auch in der Pandemie, obwohl mir immer wieder gesagt wurde, es wäre doch viel schöner, wenn es alles voller Leben wäre. Aber ich habe das Mainz trotzdem als Stadt voller Leben wahrgenommen mit den kleinen Gässchen. Ich glaube, auf dem Weg zu meinem Seminar habe ich mich doch sehr oft verlaufen und hätte einen wesentlich kürzeren Weg nehmen können. Naja, so habe ich zumindest viel kennengelernt. Aber auch die JGU. Alle sind dabei, es für die anderen einfach zu machen. So nehme ich das wahr. Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Besser kann es gar nicht laufen.  

Mainz fällt ja eher unter die kleineren Städte in Ihrer Vita – Sie haben auch schon in München und Hamburg gewohnt. Warum haben Sie denn so oft Ihren Wohnort gewechselt?  

In der Wissenschaft muss man das leider. Aber so ist es, um an die spannenden Stellen auch zu kommen. Aber so ist das. Wenigstens sind das alles sehr schöne Städte.  

Wo hat es Ihnen denn bisher am besten gefallen?  

Oh, kann ich gar nicht sagen. Das ist auch die diplomatische Antwort. Jede Stadt ist anders schön, jedes Institut ist anders, aber Hauptsache, die Leute sind nett und man kann gut zusammenarbeiten. Und ja, alle Städte haben mich bisher mit offenen Armen empfangen.  

Sie haben ja auch schon in London gewohnt, wenn ich das richtig recherchiert habe?

Das stimmt auch.  

Wie haben Sie denn die Medienlandschaft wahrgenommen in England und würden Sie sagen, sie ist besser oder schlechter als bei uns?  

Anders. Ich war da während Fukushima. Und ich habe aus den englischen Medien erst mal kaum etwas erfahren können, was da los ist und musste tatsächlich auf die deutschen Medien zurückgreifen, die mit dem Thema Kernkraft ja doch eher vertraut sind. Also doch sehr unterschiedlich. Aber die Politik, die Politik-Berichterstattung ist ein wenig – diplomatischer Begriff – aufregender als bei uns. Ich sage mal, da ist mehr los. Man kann sie wirklich nebeneinander halten und es lohnt sich eigentlich immer, beides zu lesen und alle Blickwinkel mitzubekommen.  

Eines Ihrer Forschungsthemen ist Sportkommunikation. Warum ist das für Sie so interessant?  

Ah, ich liebe Sport. Ich liebe Fußball. Ja. Sehen Sie den? Frank Ribéry! Es ist einfach ein Thema, was uns alle betrifft, was uns alle angeht und wo wir alle was zu sagen können. Dieser soziale Kitt, den wir haben, wenn ein Spiel ist, auch wenn man sich zum Beispiel gar nicht für Fußball interessiert. Irgendwie wissen doch alle, was los ist und wer jetzt gerade wieder Deutscher Meister geworden ist. Okay, das ist nicht so schwierig, wenn die großen Turniere sind, gerade im Herrenfußball, für die die Gesellschaft doch mehr zusammenkommt, als sie es bei anderen Themen würde. Es ist ein spannendes Thema, zu dem wir alle Zugang haben, zu dem wir eigentlich noch mehr wissen sollten, wie es funktioniert und was es mit uns macht. Und in unserem Medienkonsum, unserer Mediennutzung, aber auch, welche Bedürfnisse es bei uns befriedigt.  

Spielen Sie dann selbst auch Fußball?  

Oh nein, bin ich da talentlos.  

Und Lieblingsverein? 

Der HSV.

Sie haben auch zu weiblichen Fußballfans geforscht. Sind denn Frauen andere Fans als Männer?  

Ja, tatsächlich. Weil sie es sein müssen. Das ist jetzt die steile These dazu. Ich habe dazu geforscht, wie sich Frauen auf der Plattform Tumblr verhalten. Tumblr ist eine Microblogging-Plattform. Und diese Plattform war so spannend für mich, weil es nur Frauen sind, die dort unterwegs sind. Ich habe mich gefragt, warum? Wo sind denn hier die Männer? Sie haben nicht gesagt sie wollen keine Männer, aber die kommen ja nicht her, auch weil wir anders sind. Und wenn wir auf männerdominierten Plattformen posten würden, dann würden wir sehr, sehr viel Sexismus ausgesetzt sein. Und so sind sie unter sich, die Frauen. Und die sagen auch: Wir haben noch andere Themen. Wir können uns darüber unterhalten, welcher Spieler mit wem befreundet ist und vielleicht auch, ob es gerade einen Haarschnitt gab und ob er uns gefällt. Und keiner macht das runter. Aber wir können uns genauso gut über die harten Fakten des Spiels unterhalten, was dann auch getan wird. Aber es ist eine ganz andere Diskussionskultur mit anderen Themen und vor allen Dingen auch mit viel mehr Kreativität. Was da an Photoshop-Künstlerinnen rumläuft und postet und Bilder und GIFs macht. Das Spannendste, was mir erzählt wurde, war eine Userin, die großer Fan von Bastian Schweinsteiger ist: Die hat Deutsch gelernt, damit sie seine Interviews im Original lesen kann. Und das ist doch wunderbar, das ist doch Völkerverständigung mit Bastian Schweinsteiger.  

Okay, dann gibt es ja noch ein anderes Thema, das Sie bearbeitet haben, und das ist die Digitalisierung im Journalismus, unter anderem auch zu automatischen Nachrichten. Brauchen wir denn in Zukunft keine Journalist*innen mehr?  

Oh doch, keine Frage. Machen Sie bitte Ihre Ausbildung weiter. Die automatisierte Erstellung von Artikeln ist für solche Dinge geeignet: im Sport bei der Berichterstattung von Spielen, wo Sie sich eigentlich selber auch gar nicht so gerne dransetzen würden, weil die Daten alle vorhanden sind, weil Sie nur etwas runterhacken müssten, weil hier „Storytelling“ nicht wirklich möglich ist. Beziehungsweise das könnten Sie machen. Aber lohnt sich das? All diese Daten sind vorhanden, von Gelben Karten, Spielerwechseln, wer hat welches Tor geschossen? Geben Sie das dem Algorithmus, programmieren Sie ein Template und lassen Sie das für jedes Spiel in ganz Deutschland –wenn Sie die Daten haben– einfach auswerfen und nehmen Sie sich die Zeit, um mit dem Trainer oder der Trainerin zu sprechen, um da selber hinzugehen, um die Geschichten drumherum zu finden, also um das zu tun, was den Journalismus ausmacht. 

Dazu direkt schon die nächste Frage: Was muss denn der*die Journalist*in von morgen Ihrer Meinung nach können?  

Der Journalist, die Journalistin von morgen sollte keine Angst vor Daten, vor Zahlen und vor Computern haben. Da auf jeden Fall reinschnuppern! Das nennen wir „computational thinking“, also auch das Denken in Zahlen angewöhnen, und die Technik als Partner wahrnehmen. Das ist wichtig. Aber auch die ganzen „alten Tugenden“ nicht vergessen: Gute Recherche, gute Verifikation. Und umso mehr dort, wo uns doch auch Daten wiederum vorgaukeln können, dass etwas da ist, was gar nicht da ist.  

Wenn Sie als Journalistin arbeiten würden, in welchem Ressort würden Sie denn arbeiten wollen?

(Überlegt und lacht) Oh, das ist spannend.  Also ich glaube, ich würde tatsächlich den neuen Innovationen hinterherjagen und versuchen in einem dieser Ressorts, wenn es das Ressort Innovation/Digitalisierung denn gibt. 

In der Wissenschaft gibt es ja auch noch einiges zu tun. Welche Forschungsfrage wollen Sie denn unbedingt für sich beantworten?  

Oh, ich habe immer so viele Forschungsfragen. Es hört ja gar nicht mehr auf… Aktuell beschäftigt mich damit, wie neue Technologien und Journalismus mit 360-Grad-Video unser Nachrichtenerleben verändert. Was dafür geeignet ist, was nicht dafür geeignet ist, welche Themen, was man damit machen kann. Wie neue Technologien uns näher an Nachrichten und an die Dinge heranbringen können. Das ist was, was ich noch weiter beantworten will. 

Sehr gut, dann haben wir noch zum Abschluss ein paar Schnellfragen.

Fish and Chips oder Weck, Worscht und Woi?  

Fish and Chips.  

Kaffee oder Tee?

Tee. Schwarz. 

David Bowie oder Frank Sinatra?

David Bowie.

Sport schauen und oder Sport treiben? 

Sport schauen.  

Studentin oder Juniorprofessorin?  

Professorin. (lacht) Ich will nicht mit Ihnen tauschen.  

Podcast oder Hörbuch?  

Podcast.  

Franzbrötchen oder Zimtschnecke?

Franzbrötchen. (lacht) Oh, ich bin zu hamburgerisch.. 

Danke, das wars auch schon! 


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