Erich Lamp sagt Adieu

Ein Katzentisch, dutzende PiCK UP-Doppelkekse und unzählige Publizistik-Studis, die seinen Ausführungen über die öffentliche Meinung und Krisenexperimente an der Wursttheke lauschten. Nach 70 Semestern als Dozent verabschiedet sich Professor Erich Lamp in den wohlverdienten Ruhestand.

Von Gastautor*in

Zum Abschied vom IfP lassen wir Wegbegleiter zu Wort kommen, die Erich Lamp als Kollegen, Doktorvater, Dozenten, Sammler, Süßwarenhändler und einmal auch als Wegbereiter einer bis heute andauernden Ehe kennen und schätzen gelernt haben.

Die meisten Glücksmomente in meinem Beruf haben direkt oder indirekt mit Erich zu tun. Gespräche mit Erich sind nie Small Talk für fünf Minuten. Man geht in sein Büro und erlebt den Flow: Die Zeit verschwimmt um einen herum, man wird umhüllt von Philanthropie und Wohlbehagen. Wenn man nach einer Stunde aus dieser Behaglichkeit in die kalte Welt hinausgeht, fühlt man sich gut ─ besser, ruhiger und wertvoller. Erich ist vollkommen uneitel und ─ wie niemand sonst, den ich kenne ─ mehr an anderen Menschen als an sich selbst interessiert. Erich verschenkt Wertschätzung im Überfluss. Erich kann nicht nur erklären, was der Flow ist, Erich lebt ihn. Er ist innerlich offen, saugt die Impulse der Welt auf, wendet sie nach allen Seiten, bringt sie zum nächsten Gespräch mit. Erich ist ein Psychologe, ein Seelsorger und ein Künstler. Seine Neugier ist unerschöpflich. Keiner hat so viele Zitate und Anekdoten wie Erich, die er mit vor Freude tränenglitzernden Augen erzählt.

Erichs Vornamen kann man nicht verniedlichen; das hat er immer bedauert. Ich habe es dennoch versucht. Erichs Büro ist eine mit Andenken vollgestopfte, herrliche Asservatenkammer eines reichhaltigen Lebens. Der schönste Ort am IfP. Erich war mein Motivator und Schutzengel, mein Rückhalt und Refugium. Als ich krank wurde, saß Erich an meiner Bettkante im Krankenhaus. Wenn ich traurig oder zornig war, baute Erich mich auf. Er war mein halbes Leben lang für mich da.

Ich war Erichs erster Magister. Ich war Erichs erster Doktor. Ich übernahm Erichs Stelle, als er nach München ging. Jeden Sonntag rief ich ihn daheim an, damit er mir meinen Job erklärt. Am Tag meiner Promotion war sein 50. Geburtstag, den wir zusammen feierten. Die meisten Menschen haben einen Vater; ich bin mit dem großen Glück gesegnet, zwei der Wunderbarsten zu haben. Erich ist einer der besten Menschen, die man sich zu treffen wünschen kann. Danke, Erich! Nick d.D.

Nikolaus Jackob

Erster Doktorand von Erich Lamp und heute Privatdozent am IfP

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Pascal Schneiders

Ex-Büronachbar und IfP-Dozent

Erich Lamp mag kein Aufhebens um seine Person und erst recht keine Abschiedsworte. Schließlich sei er nicht aus der Welt, sagt er dann. Doch da muss er jetzt durch, denn wir alle (und nicht jede*r) lassen ihn nur sehr ungern gehen; gerade in diesen Zeiten, die einen Abschied, wie er sich gehört, unmöglich machen.

Mit Erich Lamp verlässt ein Sammler das IfP. Das wird bei seinem Auszug besonders deutlich; jetzt, wo sein Büro (oder, wie er es bevorzugt nennt, sein Arbeitszimmer) so schrecklich leer aussieht. Ein Arbeitszimmer, dessen Türe allen offen stand – den Studis, den Sekretärinnen, Lehrbeauftragten, Professorinnen und Professoren, dem Mittelbau und anderen. Für sie alle, in ihren unterschiedlichen Lebenslagen, hatte Erich Lamp ein offenes Ohr, beneidenswerte Begeisterungsfähigkeit, einen weisen Ratschlag aus den Untiefen seines Gedächtnisses und, im Glücksfall obendrauf, Milka-Schokolade, PiCK UP-Doppelkekse oder Pocket Coffee-Pralinen.

Reingebeten in sein Arbeitszimmer saß man dann da, am Katzentisch, gegenüber Erich Lamp mit seiner David Bowie-Brille, eräugte die Sammlung verschiedenster Dinge – neben der Masse [1] an Büchern unübertroffen hohe Stapel aus Abschlussarbeiten, die auffällige Porzellanbüste mit den aufgezeichneten Hirnarealen, Goffmans Theaterbühne, Pflastersteine aus Lissabon, Zeitungsausschnitte (natürlich aus der FAZ), erste Sätze aus Romanen (ich zitiere nur: „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen“), Kitsch, Gemälde wie das La fenetre du jardin de la tristesse, längst in Vergessenheit geratene demoskopische Apparate – und kam vom Hölzchen aufs Stöckchen. Die wildesten Assoziationssprünge vollzogen sich, man betrieb Klönschnack, dazu Käsebrot und Kaffee, und doch verfertigte man seine Gedanken allmählich beim Reden und verließ das Zimmer mit neuen Ideen. Man hatte einen Faden in ein Netz der Beziehungen geschlagen.

Mindestens genauso viel Spaß wie das Sammeln macht Erich Lamp das Schenken. Und so bereichern nun ein paar der mit Geschichten aufgeladenen Dinge mein Arbeitszimmer. Sie werden ihn nicht ersetzen, aber immer schöne Erinnerungen hervorrufen. Und schließlich ist er nicht aus der Welt.

Lieber Herr Lamp, bleiben Sie, wie ich Sie kenne!

„Schöne Grüße“

Pascal Schneiders

[1] Die Masse ist dabei nicht zu verwechseln mit der Öffentlichkeit (als Urteilsinstanz), schließlich ist in der Masse die soziale Natur des Menschen suspendiert (Lamp, 2000, S. 170). 

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Zu Beginn der achtziger Jahre hatte an der Universität Mainz kein sozialwissenschaftliches Fach einen Institutshaushalt, sondern jede*r C-4-Professor*in einen eigenen Topf. Es war nicht einfach, Frau Noelle-Neumann zu überzeugen, dass alle dauerhaften Mittel in einen Topf sollten, aus dem erst die Gemeinschaftsausgaben bestritten und der Rest nach einem Schlüssel an die Professor*innen verteilt werden würde. Erich Lamp hat – über alle personellen und organisatorischen Veränderungen hinweg – mit großer Sachkenntnis die Verteilung immer wieder neu berechnet und dadurch wesentlich zum Zusammenhalt des Instituts beigetragen.

Frau Noelle-Neumann hatte großen Wert auf die jährlichen Kolloquien in Mainz und Allensbach gelegt, bei denen Mitarbeiter beider Institute neue Untersuchungen vorgestellten und mit Mainzer Studierenden diskutierten. Alle konnten erkennen, welche Projekte vor allem die jüngeren Mitarbeiter bearbeiteten und wie sie das machen. Unvergesslich sind die von Beppo zubereiteten Abendessen mit badischen Weinen im Institut für Demoskopie. Erich Lamp hat dafür gesorgt, dass diese Tradition – solange es ging – auch nach Frau Noelle-Neumanns aktiven Zeit fortgesetzt wurde.

Finanziert wurden unsere Reisen nach Allensbach und zu internationalen Konferenzen vom „Verein der Freunde und Förderer des Instituts für Publizistik der Universität Mainz“, der aufgrund von Groß- und Kleinspenden über ein beträchtliches Vermögen verfügte. Leider musste der Verein diesen Schatz aufgrund einer geänderten Rechtsauffassung des Finanzministeriums bis auf einen Rest abschmelzen. Aber davon haben auch später noch viele Mitarbeiter*innen und Studierende profitiert. Es ist Erich Lamps Verdienst, dass das bis in die jüngere Vergangenheit funktionierte.

Drei herausragende Verdienste für das Institut für Publizistik der Universität Mainz – wer kann das von sich behaupten? Erich Lamp würde es nicht machen, und deshalb mache ich es: Danke Erich für Dein immer diskretes und zuverlässiges Engagement!

Hans Mathias Kepplinger

IfP-Kollege für mehr als zwei Jahrzehnte und heute emeritierter Professor

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Thomas Hies

Seminarteilnehmer 1991 und heute Filmproduzent

Wer in Rente geht, mag sich fragen, was er Bleibendes geschaffen hat. Bei Dr. Erich Lamp gibt es darauf sicherlich viele Antworten. Doch eine davon wird ihn selbst überraschen…

Sommersemester 1991. Im Seminar „Öffentliche Meinung: Sozialpsychologische Theorie“ bei Erich Lamp tritt eine 23-jährige Studentin vor das Auditorium in Hörsaal P5 des Philosophicums, um über „Die Theorie der Schweigespirale als Instrument der Medienwirkungsforschung“ zu berichten. Die junge Frau hat Ausstrahlung. Eine tolle Stimme. Noch dazu sieht sie bestechend attraktiv aus. Ich sitze in Reihe 6, ganz links, kann mich inhaltlich kaum noch auf das Referat meiner Kommilitonin konzentrieren.

Im Anschluss an das denkwürdige Seminar trinken wir beiden noch eine Bananenmilch im Café des Philosophicums. Wir beschließen, uns auch einmal privat zu treffen. Wenig später sitzen wir beiden Turteltauben gemeinschaftlich an einem Referat über die „Fernsehberichterstattung im ZDF-Auslandsjournal“. Die Arbeit zieht sich hin, die Sonne senkt sich, noch immer hat der Text keine befriedigende Gestalt angenommen. Wir beschließen, die Arbeit am nächsten Morgen fortzusetzen. Doch es ist spät geworden; eine gemeinsame Übernachtung vor Ort wohl die beste Idee, um zum Tagesauftakt direkt weitermachen zu können… To make a long story short: Wir, der Publizistikstudent aus Reihe 6 und die junge Studentin mit dem Referat, sind auch heute – 30 Jahre nach der Begegnung im Seminar von Erich Lamp – noch ein Paar und führen mittlerweile ein Filmproduktions-Unternehmen.

Eine von vielen Früchten der langjährigen Zusammenarbeit: Eine Tochter, mittlerweile 21 Jahre alt, die nun ihrerseits im Hauptfach Publizistik studiert. Im Wintersemester 2020/21 hat sie das letzte Seminar besucht, das Erich Lamp in seiner langen Zeit am IfP gehalten hat.

In Dankbarkeit für seine Mitwirkung an etwas wahrhaft Bleibendem ruft das Trio aus zwei Generationen Lamp-Seminar die herzlichsten Wünsche für den Ruhestand zu. Alles Gute, lieber Erich Lamp!


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